Hören und Staunen mit Buxtehude

Sächsisches Vocalensemble schloß Karwoche in der Annenkirche ab

Matthias Jung ist mit seinem Sächsischen Vocalensemble schon oft eine ausgesprochen intensive thematische Annäherung gelungen, sei es mit Werken aus besonderen Notensammlungen (Fürstenschule Grimma), von bestimmten Komponisten (Hugo Distler) oder weil sie dezidiert auf den Kirchenkalender bzw. Feiertage ausgerichtet waren. So wandten sich das Sächsische Vocalensemble und die Batzdorfer Hofkapelle am Karfreitag in der Annenkirche ganz explizit dem Leiden und Sterben Jesu zu und verbanden zwei Werke, zwischen deren Entstehen mehr als dreihundert Jahren lagen – 17. und 20. Jahrhundert gaben sich dabei die Hand.

John Tavener (1944 bis 2013) gebührte eine Art Vorrede des Programms: »Svyati« (Heilig) entspricht im Text kaum mehr als einer kurzen Anrufung, fügt mit der Bitte um Erbarmen ein implizites Glaubensbekenntnis hinzu. Das Vocalensemble formulierte darin einen Dialog und Austausch, bei dem die Sänger im Halbkreis im vorderen Kirchenschiff standen, während im Zentrum desselben das Violoncello von Isang Enders eine im doppelten Sinne zentrale Rolle übernahm. Aus der Stille klang es hervor, worauf zunächst die Bässe mit einem Summton antworteten. Die Raumwirkung blieb außerordentlich: allumschließend der Chor, während das Cello ein Lied in Form eines Klagegesangs anstimmte. Isang Enders füllte somit die Rollen eines Solisten wie die eines Begleiters aus: den Text trug das Vocalensemble vor, aus deren Stimmen sich die Worte nach und nach, mit den Tenören im Zentrum, herauskristallisierten.

Dieterich Buxtehude Membra Jesu nostri, Titelblatt der Tabulatur mit Widmung an den Stockholmer Hofkapellmeisters und Organisten Gustav Düben Uppsala Universitetsbibliotek, Bildquelle: Wikimedia commons

Nach dieser wirkungsvollen Einleitung übernahm die Batzdorfer Hofkapelle die Begleitung des Chores. Mit Dieterich Buxtehude durfte man gleich noch einmal neu hören, denn der Komponist, der für uns oft im Zusammenhang mit Bach steht, hat weit mehr geschrieben, als daß sein Œuvre nur zur norddeutschen Orgelmusik beigetragen hätte. Von seinen vokalen Werken, die nur zum Teil überliefert sind, gibt es noch viele zu entdecken! Der Zyklus Membra Jesu nostri (Die Glieder unseres Jesus) setzt sich aus sieben Kantaten zusammen, die einerseits in ihrer Geschlossenheit beeindrucken (sie einzeln aufzuführen, würde ihnen nicht gerecht), andererseits schon durch ihre formale Anlage und die musikalische Umsetzung ganz besonders berühren. Denn es gibt keine handelnden Personen, keine ausgeprägte Dramaturgie eines Verlaufes – jede der Kantaten beginnt mit einer Einleitung, meist Begrüßung, worauf sich der Text den sieben »Gliedern« Jesu am Kreuz zuwendet: Füße, Knie, Hände, Seite, Brust, Herz, Gesicht. Auf eine Sonata folgt eine Aria, die Jesus jeweils direkt anspricht (»Du«). Jede Kantate endet mit einem Zeugnis: »Ich« bittet, nicht verstoßen zu werden, bekundet, Jesus mit reinem Sinn gesucht zu haben, bietet seinen Lebenshauch dar etc. Solche direkte Vermittlung bindet den Hörer ganz außerordentlich ein, viel mehr, als wenn er unbeteiligt ein Geschehnis berichtet bekommt.

Am Freitagabend begeisterte das Sächsische Vocalensemble vor allem mit diesem für viele wohl noch unbekannten Werk. Im Wechsel mit den Solisten Dorothea Wagner und Birgit Jacobi-Kircheis (Sopran), Jean-Max Lattemann (Altus), Christian Kircheis (Tenor) und Meinhardt Möbius (Baß) entstand eine geradezu meditative Atmosphäre, die Buxtehude durch die Verwendung ostinater Figuren immer wieder verstärkte. Auch werden in jeder Kantate Teile der Arientexte à tutti wiederholt und der Inhalt verdichtet. Mag die Form insgesamt knapp sein – sie wurde in instrumentalen und vokalen Stimmen höchst wirkungsvoll und unterschiedlich vertieft. Der Hörgenuß schloß gleichermaßen die von der Barockformation bis zum Gambenconsort wechselnde Orchesterbesetzung ein, so wie sich die unterschiedlichen Schattierungen im Chor spiegelten. Die Solisten zeigten sich bis zu den beiden Sopranen (strahlender der eine, samtener der andere) sehr charakteristisch. Eine erfreuliche Wiederbegegnung gab es mit Jean-Max Lattemann, den es nach seiner Dresdner Studienzeit nach London verschlagen hat, und der mittlerweile über einen bemerkenswert reifen, unaufgeregten Altus mit fein dosiertem Vibrato (oder frei davon) verfügt.

30. März 2024, Wolfram Quellmalz

Am 1. Juni feiern das Sächsische Vocalensemble und der Dresdner Motettenchor gemeinsam »Bruckner 200« in der Annenkirche

https://www.saechsisches-vocalensemble.de

Spendenaufruf für die Kirche Großröhrsdorf und aktuelle Informationen:

https://www.kirche-grossroehrsdorf.de

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