Dresdner Philharmonie poliert musikalische Schmuckstücke auf
Wenn man Konzertlieblingsstücke und berühmte Gäste in einem einzigen Konzert kombiniert, besteht ein wenig die Gefahr der Übersteigerung. Ganz frei von Starfunkeln war das Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie am Wochenende im Kulturpalast nicht, Dirigent Kent Nagano sorgte jedoch mühelos dafür, daß es musikalisch nicht nur ausgewogen, sondern trotz fulminanten Beginns noch mit einer Steigerung versehen war.
Denn am Anfang stand eine Sinfonie. Selten zum Glück, aber ab und zu kommt es vor, daß der Höhepunkt bereist an den Beginn gestellt wird. Zumal Franz Schuberts frühe Sinfonien die Einordnung als »Jugendwerk« gar nicht bedürfen – weder entsprechen sie einem vorsichtigen Herantasten noch sind sie unbedacht oder von allein von jugendlichem Übermut gekennzeichnet. So überzeugt die dritte (D-Dur, D 200) mit ihrem Wechselspiel von Traditionsbezug und Wagemut – weil Schubert schon früh wegweisende Ideen entwickelte.

Mit einem Paukenschlag beginnt das Werk – das sollte sich am Sonntagmorgen noch einmal, wenn auch ganz anders, wiederholen. Was zunächst ebenso bei Haydn oder Mozart hätte vorkommen können, erweist sich bald als typisch Schubert: die Flöten lockern auf, binnen kurzem entsteht ein kleines Drama, das in der Pauke gipfelt. Die Dresdner Philharmonie flocht jedes der Holzblasinstrumente kantabel ein, ließ die Streicher dunkle Pizzicati tupfen – Kent Nagano schlug einen Spannungsbogen, der von Rosamundes Salon bis in die Oper reichte und mit einem spritzigen Finale abschloß – eigentlich gehört so etwas doch an das Ende, oder?
Wie also diesen Schubert steigern? Mit einer Geigerin, die jetzt schon eine Spitzenstellung erreicht hat. María Dueñas ist es seit ihrem Dresdner Studium gelungen, sich über ihre Altersklasse hinaus zu etablieren. Neben dem reinen Können gehört dazu wohl auch ein schlagkräftiges Management. Denn die Violinistin kam immer mit großen Werken und großen Dirigenten – nach ihrem ersten Auftritt bei der Dresdner Philharmonie mit Marek Janowski folgten bald schon die Dresdner Musikfestspiele mit Dirigent Herbert Blomstedt, damals wählte sie Mendelssohns zweites Violinkonzert. Bevor sich María Dueñas Anfang Oktober bei der Sächsischen Staatskapelle mit Orozco-Estrada und Édouard Lalo in weniger bekannte Gefilde vorwagt, gab es diesmal Max Bruchs erstes Violinkonzert.
Die Pauke fachte noch einmal einen Beginn an, woran sich ein melodisches Schwelgen schloß – kein Zweifel: María Dueñas’Technik ist makellos, reich an Farbe, gesanglich und atemvoll! Das dialogische Prinzip, das schon bei Schubert so erfrischend wirkte, putzte Kent Nagano noch etwas stärker heraus. Wunderbar, wie sich das Horn (Rafael Olivieros Laguna) erst in den Violinton einschmiegte, um im zweiten Satz wie eine Ermahnung oder Einwendung gegenüberzustehen! Und auch im Orchester sorgte Nagano für kleine Balanceunterschiede, ließ die ersten Violinen leicht hervortreten, was sie mehr mit der Solistin verband.

Nachdem Max Bruch ersten und zweiten Satz direkt ineinander überfließen ließ, hielt Kent Nagano vor dem dritten die Hände erhoben – keine Pause, keine Gelegenheit zum Husten, sondern ein fast direkter Anschluß, bei dem die Pizzicati der Cellogruppe die Solisten einfingen.
Mit ihrer Zugabe sorgte María Dueñas für Aufhorchen: nicht Paganini oder Bach, sondern »Applemania« von Aleksey Igudesman, ein zeitgenössisches Virtuosenstück.
Mit Richard Strauss‘ Suite »Der Bürger als Edelmann« wußte Kent Nagano den Eindruck vor der Pause noch einmal zu steigern. Strauss‘ heute historische Sicht auf Moliere und Lully ist an sich schon reizvoll und luftig, geriet unter so kundigen Händen zum feinen Bravourstück und erreichte hinsichtlich instrumentaler Dialoge nun einen Gipfelpunkt. Klangen die Oboen (Undine Röhner-Stolle) allein schon rund, die Flöten (Marianna Julia Zolnacz) grazil, lag ein noch größerer Reiz im Gegenüber wie von Flöten und Violinen oder bei der Konzertmeisterin mit Klarinette oder Fagott. Heike Janicke durfte als verkappte Solistin das größte Solo prächtig ausstaffieren, nicht zu vergessen die erneut schönen Beiträge von Horn und Violoncello (Leonard Goldberg).
7. April 2024, Wolfram Quellmalz
Wer an Schubert Gefallen gefunden hat, sollte sich das Konzert am 17. Mai in der Frauenkirche vormerken. Dann stehen ein Intermezzo von Franz Schreker, Pēteris Vasks‘ Phantasie für Violine und Orchester »Vox amoris« sowie – nun am Schluß – Schuberts fünfte Sinfonie auf dem Programm.