Als Krönung Brahms

Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle

Kleine Ursachen haben mitunter groß(artig)e Wirkungen. Seit dem letzten Kammerkonzert begrüßt jeweils ein Musiker der Sächsischen Staatskapelle das Publikum. Matthias Wilde hatte am Donnerstag in der Semperoper drei Umbesetzungen zu nennen, vor allem aber gelang es ihm, kurz, knapp und herzlich eine Konzertstimmung herzustellen, mit einer Spannung, die bis zum letzten Ton halten sollte – kein Zwischenapplaus!

Dabei haben die Kapellmusiker ihrem Publikum ganz schön etwas vorgesetzt, um nicht zu sagen zugemutet, denn abgesehen von der Gesamtdauer – zwei Stunden gab es lange nicht! – waren die ersten beiden Stück für ungewohnte Ohren eine harmonische Herausforderung. Sowohl Leoš Janáčeks »Mládi«-Suite für Flöte, Oboe, Klarinette, Baßklarinette, Horn und Fagott wie auch Sergej Prokofjews Quintett g-Moll für ein gemischtes Ensemble sind in Sätzen und Spiellänge fast schon ausschweifend – anspruchsvoll nicht nur für die Musiker! So bot sich aber Gelegenheit, einmal ausreichend in solche Sphären einzutauchen, zum Beispiel gemeinsames im Unterschiedlichen zu finden. Wobei sich manches recht einfach erschließt und nicht in jedem Fall einer Analyse bedarf. Leoš Janáčeks Musik zum Beispiel (morgen feiert seine »Káťa Kabanová« an der Semperoper Premiere) ist oft mit einem sprachlichen Melos behaftet. Was der Komponist in seinen Opern dezidiert angestrebt hat, ist auch in manche Instrumentalwerke eingeflossen. In »Mládi« hat er vordergründig (Erinnerungs)bilder eingefangen. Bernhard Kury (Flöte), Volker Hanemann (Oboe), Jan Seifert (Klarinette), Christian Dollfuß (Baßklarinette), Andreas Börtitz (Fagott) und Klaus Gayer (Horn) hoben das Stück zum Vocalsextett, in dem sich erst Frühling und Abenddämmerung spiegelten (Andante sostenuto) und im Allegro ein fast mozartisches Opernensemble sang.

Sergej Prokofjews Quintett (Volker Hanemann, Jan Seifert, Robert Lis / Violine, Florian Richter / Viola und Klaus Gayer / Kontrabaß) schien der harmonisch gleichen Welt entstiegen, jedoch hinsichtlich des strukturellen Wandels weniger an »Bildern« orientiert, sondern an figurativen Charakteren (im Tanztheater hatte das Werk seinen Ursprung). Die fünf Musiker fanden zu erstaunlicher sinfonischer Dichte, immer wieder aber waren Einzelstimmen hervorgehoben. Fragende, zögernde Passagen (zweiter Satz) wurden bald frech-frivol aufgemischt (dritter). Die Übergänge blieben nicht nur in den Sätzen leicht und ephemer, noch am Schluß ließ Prokofjew meist den betonten Akkord aus – letztlich löste sich die Musik auf wie ein Nebel im Sonnenaufgang.

Bohuslav Martinů, Photographie um 1943, Bildquelle: Wikimedia commons

Da waren die beiden Stücke nach der Pause in Klaviertrioformation konkreter, auch harmonisch faßbarer (bzw. gewohnter). Bohuslav Martinůs fünf als »Bergerettes« bezeichnete Stücke sowie Johannes Brahms‘ zweites Klaviertrio (Opus 87, C-Dur) krönten die außergewöhnliche Vorstellung. Annika Thiels wunderbar feinsinnige Violine und Friedwart Christian Dittmann (Violoncello) stand Pianist Nikolaus Branny zur Seite, der wieder einmal seine bereits in so jungen Jahren exzellente kammermusikalische Fähigkeit darbot. Zunächst überraschten Martinůs Triostücke, da sie doch näher an Brahms waren als an Janáček, wie vielleicht mancher erwarten würde. Vor allem verband das Trio einen volkstümlichen Gestus mit einem sinfonischen (im Brahms’schen Sinne), vollgriffigen Klang. Das aber ohne Schwermut oder andere gewichtige Beigaben – im Gegenteil offenbarte sich in gedämpften Klaviertupfern und zarten Violintönen eine ungemeine Leichtigkeit. Mittendrin (Andantino) konnten Spitzen der Violine aus dem charmanten Lamento des Cellos aufblitzen.

Schon für dieses erste Stück hatte es »Bravi« im Publikum gegeben, nach Brahms‘ Trio fielen die Beifallsbekundungen noch heftiger aus. Wie auch nicht? Boten die drei Musiker doch einen süffigen, ausgewogenen Klang, der sich bis zum Schlußakkord steigerte, dem Andante eine Romanze einhauchte und vom Scherzo lebhaft ins Finale stürmte. Während Martinů in Paris das abschließende vif kennengelernt hatte (oder »vivo« wie im dritten Streichquartett), setzte Brahms gern kräftige Akzente – herrlich, wenn sie so gehaltvoll ausklingen!

26. April 2024, Wolfram Quellmalz

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