Spitzenorchester zur Eröffnung

Dresdner Musikfestspiele starten fulminant

Anders als im vergangenen Jahr, als sich bei den Gastorchestern eine stetige Steigerung des noch besseren verzeichnen ließ, begannen die Dresdner Musikfestspiele (DMF) nach dem Vorabend mit der »Walküre« gleich mit dem bestmöglichen: zumindest nominell ist das Koninklijk Concertgebouworkest, das seit Jahren schon zu den weltweit drei besten Klangkörpern gezählt wird, in diesem DMF-Jahrgang nicht mehr zu übertreffen. Dazu kommt, daß es mit seinem künftigen Chefdirigenten anreiste: Klaus Mäkelä, gerade einmal 28 Jahre alt und von einigen bereits als »der neue Leonard Bernstein« gehypt, wurde vor wenigen Wochen vom Orchester in diese Position gewählt. Bis er 2027 sein Amt antritt (er wird zur gleichen Zeit ebenfalls Music Director beim Chicago Symphony Orchestra), übernimmt Klaus Mäkelä als Artistic Partner Aufgaben beim Concertgebouworkest. Dieses hat sich also für die Zukunft festgelegt bzw. ist Zukunft das Programm, denn auch Aurel Dawidiuk, seit dieser Spielzeit Associate Conductor und aktueller Ernst-von-Schuch-Preisträger (Forum Dirigieren des Deutschen Musikrates), läßt – nur fünf Jahre jünger als Mäkelä – auf künftige Meisterleistungen hoffen. Doch reicht der frühe Lorbeer, die Balance des Concertgebouworkest zu halten?

Die Eröffnungsveranstaltung der DMF am Freitag im Dresdner Kulturpalast war weder eine Gala noch ein Konzert im üblichen Dreiteilerformat, sondern ein echter Prüfstein. Einzig ein Werk stand auf dem Programm: Anton Bruckners fünfte Sinfonie (WAB 105) – ein Trost für all jene, denen das Festspielprogramm zu sehr in die Breite geht. Im Scheitelpunkt seines sinfonischen Schaffens hatte Anton Bruckner mit dem Werk fast eine Wende markiert. Allerdings zog sich die Entstehung der B-Dur-Sinfonie, bedingt durch viele bremsende Ereignisse, ungewöhnlich lang hin – elf Jahre. Dafür blieb ihr die Variationenvielfalt der Fassungen ihrer Schwestern (man denke nur an die Sinfonien Nr. 2, 3, 4 oder 8) erspart. Die Spannung in so einem monolithisch-komplexen Gebilde herauszuarbeiten, ist nur eine der Herausforderungen Bruckners.

Großer Auftritt: Klaus Mäkelä und das Koninklijk Concertgebouworkest im Dresdner Kulturpalast, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Stephan Floss

Der wurde Klaus Mäkelä im wesentlichen gerecht, wobei in der Relativierung nicht nur beinahe eine Einschränkung liegt – am Ende des beeindruckenden Abends blieb eine Spur Enttäuschung schon deshalb, weil sich die hohe Erwartung überirdischer Magie nicht ganz erfüllt hatte. Es war immerhin die vierte Aufführung der Fünften mit dem Orchester (die dritte in Folge), doch die Homogenität stellte sich hier und da nicht ein – das wenige genügte, um den Gesamtklang weniger glänzen zu lassen, auch (oder gerade weil) manche Streichergruppen (Celli) besonders schön herausstachen.

Die Frage nach dem Maßstab, der schließlich interpretatorischen Ansatz, Erfahrung und nicht zuletzt Wagemut einschließt, darf aber nicht sein, nur ein Ergebnis, nur einen Klang zuzulassen. Denn manches ist schlicht Geschmackssache. So etwa können sich geradezu Gräben auftun ob der Frage des Vibratos – für die einen ist es wesentlich und formt den Klang, für die anderen ist es ein Relikt der romantischen Rezeption des vergangenen Jahrhunderts. Die Wahrheit liegt ganz bestimmt nicht »in der Mitte«! Mit seinem sparsamen Vibrato gab das Orchester durchaus ein Stück Klangsubstanz her, auf der anderen Seite mußte man verblüfft feststellen, daß Klaus Mäkelä in manchen geradezu vibratolosen Passagen einen geradezu mystischen Bruckner-Klang formte. Wie beispielsweise im ersten Satz, der andererseits die musikalische Erregung unterstrich, in dem die ersten Violinen sogar am gleichen Pult mit unterschiedlicher Bogenführung spielten.

Substantiell hatte das Concertgebouworkest letztlich einiges zu bieten, bot gehauchte Legatobögen Piano, aber bruchlos, schuf fließende Übergänge – hier war die Spannung absolut da. Exquisit überzeugte auch die Qualität der Bläser mit einer wunderbaren Horngruppe um Katy Woollney.

Auf diese Weise gelangen immer wieder Überraschungen oder Fokussierungen, wie im dritten Satz, der einerseits ungemein »Brahmsisch« gelang, andererseits wies Klaus Mäkelä auf eine Nähe zwischen Adagio und Scherzo hin, die beide im Grunde zu einem komplexen Satz verschmelzen ließ. Mit der motivischen Rückkehr im Finale fand die Sinfonie beinahe an den Ausgangspunkt zurück, erfuhr aber durch den apotheotischen Schluß eine Überhöhung.

11. Mai 2024, Wolfram Quellmalz

In den nächsten Konzerten mit großem Sinfonieorchestern erwarten die DMF Pianisten: zu Pfingsten spielen Lang Lang mit der Sächsischen Staatskapelle und Hélène Grimaud mit der Camerata Salzburg.

https://www.musikfestspiele.com

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