Manfred Honeck und die Königlichen Philharmoniker aus Stockholm vergoldeten den Sonntagvormittag
Es sind solche Konzerte, welche die Dresdner Musikfestspiele bereichern: das Orchester (Kungliga Filharmoniska Orkestern Stockholm) hat man schon einmal gehört, der Dirigent (Manfred Honeck) war schon oft in Dresden, die Werke (Sibelius und Dvořák) sind bekannt. Und dann übertrifft das Erlebnis die Erwartungen bei weitem!
Das begann schon mit dem ersten Stück, Andrea Tarrodis »Camelopardalis« (Giraffe). Weit mehr als ein schwedisches Horsd’œuvre bot das Orchester schon hier einen flimmernden, glitzernden Hall, der sich aus Schlagwerken und Streichern langsam erhob – hatte die Komponistin Luft, Sonne und Wüstensand eingefangen? Der kräftiger werdende Ton, durch Stakkati und Tremolo angereichert, ließ Motive durchs Orchester wandern, ein Wüstenlied in den Celli singen – auch dieses ging über die Violinen und ganze Orchester über – und verebbte schließlich in Schlagwerken und Harfe.
Und die stand – ganz ungewöhnlich – rechts. Dafür die Kontrabässe links, denn Manfred Honeck hatte sich trotz der großen Besetzung der folgen Werke für eine deutsche Sitzordnung mit den ersten und zweiten Violinen gegenüber entschieden. Nicht das einzige, was überraschte.

Dem Tag und der Zeit entsprechend waren viele Kinder im Publikum – wie schön! Der Veranstalter hatte unter anderem mit einer eigens für sie eingerichteten Konzerteinführung Familien angesprochen. Dennoch sollte man berücksichtigen, daß allzu kleine Kinder wohl kaum einem Konzert folgen können – den Beginn hatte Manfred Honeck wegen eines hineinrufenden Kleinkindes kurz abgebrochen.
Nach dem Stück der schwedischen Komponistin spielte ein schwedischer Solist ein finnisches Werk. Daniel Lozakovich, gerade 23 Jahre alt, ist bereits ein erfahrener und gefragter Violinist, der nicht nur mit namhaften Dirigenten und Orchestern musiziert hat, sondern als Kammermusikpartner nicht weniger beliebt ist. Jean Sibelius‘ Konzert für Violine und Orchester d-Moll lag bei ihm in guten Händen.
Doch zunächst zeigten sich verblüffende Parallelen zu »Camelopardalis«, auch wenn sie nicht thematischer Natur waren. Aber das schwirrende Heraufdämmern (hier Pauke und Solist) und das »wandern« von Themen, wie dem Flötenmotiv, das erst in den Bläsern gespiegelt und danach von der Solovioline aufgegriffen wird, hatten eine vergleichbare Struktur.
Daniel Lozakovich beherrscht seine Stradivari technisch souverän und gesanglich virtuos, einfach meisterhaft! Ob in den zweistimmigen Kadenzpassagen oder beim Glätten eines winzigen Ausgleitens – ein tragfähiger Ton und leidenschaftlicher Ausdruck blieben bestimmend. Manfred Honeck formte mit dem Orchester gleichermaßen weite, freie und luftige wie leidenschaftliche Passagen, was dem Austausch mit der Solo-Violine besonders entsprach.
Noch einmal durften die Themen fast sinfonisch durchs Orchester wandern, bis Violine und Stockholmer Philharmoniker einen aufregenden Schluß bereiteten. Als beruhigende Zugabe hatte Daniel Lozakovich Bachs Sarabande aus BWV 1004 ausgewählt – ebenso königlich wie das Orchester.
Die Leidenschaft blieb mit der achten Sinfonie von Antonín Dvořák nach der Pause erhalten. Der Anfang erinnerte an slawische Lieder, schickte aber bald schon musikalisches Material voraus, das im letzten Satz thematisch erwidert wurde. Sinfonien wie diese eignen sich hervorragend, die Orchestergruppen mit Muse zu studieren, etwa die herrlich goldenen Blechbläser mit ihrer besonders im Finale großartigen Horngruppe, oder das elegante Englischhorn, das so mühelos die Leidenschaften Dvořáks im ersten Satz durchbrach. Der Österreicher Honeck hat den Böhmen Dvořák (sie stehen sich sozusagen regional benachbart gegenüber) offenbar gut verstanden und seinen Schweden nähergebracht. Der dritte Satz begann wie ein Andantino von Franz Schubert, gewann aber mehr und mehr an Energie und Kraft. Umgekehrt beherrschten die Stockholmer auch die Skala ins Piano in allen Graden mühelos. Im Allegro stehen sich gemächliche Trägheit und fröhlicher Tumult gegenüber. Manfred Honeck zumindest bewies, daß diese »Trägheit« nichts anderes als Koketterie sein kann! So war die Begeisterung zur Mittagsstunde groß – dafür gab es und »für alle Kinder, die hier sind« (Honeck) noch eine Polka von Hugo Alfvén.
26. Mai 2024, Wolfram Quellmalz