Paul Thissen beim Dresdner Orgelzyklus
Zum Dresdner Orgelzyklus im Rahmen der Internationalen Dresdner Orgelwochen am Mittwoch in der Hofkirche (Kathedrale) präsentierte Paul Thissen (Bielefeld) auf der Silbermann-Orgel ein Programm, das ebenso weit durchs Kirchenjahr schritt wie es Stile europäischer Orgelzentren verband. Darüber hinaus fanden weltliche und geistliche Inhalte zusammen und zeigten – ohne jegliche Liturgie – viele Gemeinsamkeiten.
Dieterich Buxtehude stand für die norddeutsche Orgellandschaft, hatte durch sein Wirken jedoch noch einen maßgeblichen Einfluß nicht nur auf Bach, sondern auf die mitteldeutschen Musiker und Komponisten überhaupt. Sein Praeludium in g (BuxWV 148) eröffnete, wenn auch dem Motiv nach »fallend«, in froh angetriebenem Rhythmus, bevor im Verlauf eine Beruhigung eintrat. Sie war gleichsam Überleitung zum Choralvorspiel »Wie schön leuchtet der Morgenstern« (BuxWV 223) – den Choral verbinden wir heute inhaltlich ebenso mit Marie Verkündigung (25. März) wie mit der (Vor)weihnachtszeit überhaupt. Der Verlauf der neun Monate bzw. des wachsenden Kindes im Mutterleib läßt sich durchaus musikalisch wiederfinden, taucht das Motiv doch zunächst wie von ferne im Baß auf. Paul Thissen ließ das helle Oberwerk wie flimmernde Sterne dazu erklingen, was auch dann noch anhielt, als das Motiv aus dem Baß in die Melodiestimme wechselte und (wachsend) präsenter wurde. Schließlich erklang es direkt als Choral.
Zwei Ciacona von Johann Pachelbel schlossen den Mittelteil des Konzertes ein. Beide Werke zeigten einerseits eine meisterliche Verarbeitung bzw. Ausformung in der Art, folgten dabei aber unterschiedlichen Charakteren. Zunächst in g-Moll, entstand das immer weiter kreisende Thema im Baß und wurde in den Oberstimmen umspielt. Das steigerte sich soweit, bis das ostinate Thema und virtuose Verzierung in Girlanden, also Perlenschnüren der Töne, verbunden waren; wobei der Rhythmus bzw. Puls durch Stakkato-Effet noch unterstrichen wurde, als das Grundthema vom Baß ins Plenum überging. Die entstehende Spannung hatte Pachelbel weder endlos gesteigert noch am Schluß auf einen Höhepunkt geführt, er löste sie in einem Akkord harmonisch auf.
Die später folgende zweite Ciacona in f-Moll wuchs zwar ähnlich, folgte zunächst aber einer Siciliano-Stimmung, die in ihrem wiegenden Rhythmus ein Gegenüber der Baßstimmen sowie zwischen Baß und Melodie herstellte. Zwar wurde auch diese Ciacona zunehmend »aufgeweckter«, lebendiger, gleichzeitig zeigte Paul Thissen aber, daß darin nicht nur eine Steigerung der Stimmung oder Energie lag, sondern eine Verfeinerung.

Von Johann Pachelbel gibt es (wie von Dieterich Buxtehude) kein gesichertes Portrait. Das gezeigte Bild entstand 1748, also 42 Jahre nach Pachelbels Tod.
Den nord- und mitteldeutschen (bzw. im Falle von Pachelbel süddeutschen) Komponisten stand in der Mitte des symmetrisch aufgebauten Programms mit Jean Langlais einer der großartigsten Vertreter der französischen Orgeltradition gegenüber. Wobei die »Tradition« hier weit mehr umfaßt als die zahlreichen Kompositionen Langlais‘. Als Lehrer und prägender Spieler (in Ste-Clothilde, Paris) ist der Einfluß des 1990 verstorbenen Organisten in den nachfolgenden Generationen bis heute spürbar.
In Adoration und Prélude dans le style ancien (Deux pièces von 1968) hatte Langlais liturgische und weltliche Musik verbunden. Adoration (Anbetung) eröffnete mit hohen Tönen und Baß, die sich jedoch weniger gegenüberstehen als daß sie ein gemeinsames weben, einen weiten Raum, aus dem heraus sich polyphone Stimmen verzweigen. Paul Thissen gelang gerade mit einer klaren Durchsichtigkeit, welche die enge Verwebung nicht aufhob, also keine Stimmen separierte, ein überwältigender Eindruck! Das relativ kurze Prélude dans le style ancien (Präludium im Alten Stil) nahm die Zuhörer danach mit seinem festlichen, aufstrebenden Charakter gefangen. Fast wie eine Intrada endete es abrupt (diesmal auf dem Höhepunkt) und ging Johann Pachelbels zweiter Ciacona voraus.
Am Ende des Programms bzw. Buxtehudes Anfang gegenüber fand sich dessen Schüler Johann Sebastian Bach, ebenfalls mit zwei Werken. Auf Pachelbels Ciacona in f folgte zunächst die Partita diverse sopra il corale »Christe, der du bist der helle Tag« (BWV 766), noch einmal also verbanden sich ursprünglich geistlicher Text und weltliches Instrumentalwerk. Die Partita spiegelt das Choralthema in verschiedenen Variationen, deren Steigerung Paul Thissen wiederum in ein leuchtendes Plenum führte. Silbermann vom Feinsten, denn auch hier blieb die Ausarbeitung und Feingliedrigkeit erhalten. Natürlich war damit die prachtvolle Wiedergabe Jean Langlais‘ Werke weder übertroffen noch widerlegt – Silbermann kann ebenso modern, wissen Besucher des Orgelzyklus‘ seit langem.
Allerdings erfordert das Arbeit. Nicht nur durch Hände und Füße beim Spiel auf Tasten und Pedalen, sondern schon vorab beim Registrieren. Paul Thissen und der ihn unterstützende Domorganist Sebastian Freitag hatten für Bachs Praeludium et Fuga in C (BWV 547) noch einmal viel einzurichten, denn gerade das aufwärtsstrebende Praeludium (das sozusagen dem »frohen Niederkommen« vom Beginn gegenüberstand) wollte ordentlich funkeln. Wie oft bei Bach war die Fuge danach zunächst durchgeistigter, besonnener (vielleicht im Sinne von Bachs Auffassung über Erbaulichkeit), wuchs aber nicht nur verflochten, sondern auch in der Klangkraft.
11. Juli 2024, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Mittwoch (20:00 Uhr) ist Jean-Baptiste Monnot (Rouen / Frankreich) im Rahmen der Internationalen Dresdner Orgelwochen in der Kreuzkirche zu Gast (Bach, Mozart, Franck, Guillou, Vorgespräch ab 19:19 Uhr in der Heinrich-Schütz-Kapelle).