Doppeltes Konzert, geteilte Freude

Moritzburg Festival spielte am Sonnabend an zwei Orten

Offiziell war es ein »Doppelkonzert«, der Programmfolge nach ein Konzert mit langer Pause und Ortswechsel: Am Sonnabend spielte das Moritzburg Festival (MBF) Bach in der Evangelischen Kirche und kehrte danach mit Rossini und Tschaikowski auf der Schloßterrasse ein. Dazwischen hatten Besucher die Möglichkeit, das Schloß wieder einmal drinnen zu besichtigen, zum Beispiel den Monströsensaal, wo vor 31 Jahren alles begann.

An Johann Sebastian Bach, vor allem seinen Fugen, haben sich seit jeher die nachfolgenden Komponisten orientiert, aufgerieben, inspirieren lassen – bis heute. Viele Bearbeitungen gibt es, nicht nur von Mozart, Schumann oder Brahms. Doch »Die Kunst der Fuge« (BWV 1080), zumindest die drei- und vierstimmigen Teile daraus, kann man ohne solche Bearbeitung mit einem Streichquartett spielen. Das zeigten Alexander Sitkovetsky und Kristīne Balanas (Violinen), Lars Anders Tomter (Viola) und Henri Demarquette (Violoncello) eindrucksvoll am frühen Abend in der Kirche. Lars Anders Tomter, einer der langjährigen und oft wiederkehrenden Teilnehmer und außerdem Mentor, stellte vor Beginn kurz das Thema vor, ließ es einmal durch die Instrumente »laufen« und freute sich augenzwinkernd – jeder erkenne ja, daß es sich der Form nach um eine Französische Ouvertüre handele –, daß ein französischer Cellist daran beteiligt war (Henri Demarquette war kurzfristig in die Besetzung gekommen).

Die beiden Auftrittsorte: links die Evangelische Kirche Moritzburg (Photo von Guido Radig, Bildquelle: Wikimedia commons), in der Mitte eine Luftaufnahme des Schlosses (Photo von Carsten Pietzsch, Bildquelle: Wikimedia commons) von Südost mit der Konzertterrasse links vor dem Gebäude, rechts ein Bild vom Eröffnungskonzert (Photo: Moritzburg Festival, © Oliver Killig)

Die knappe Stunde wurde zu einem der wertvollsten Moritzburg-Momente, und manch einer wünschte vielleicht, doch die ganze »Kunst der Fuge« zu hören. Hier hatten sich (wieder einmal) vier Spieler getroffen, die für dieses eine Werk einen gemeinsamen Ton fanden, als wären sie schon seit Jahren in einem festen Streichquartett verbunden! Schon mit dem ersten präsentierten Contrapunctus stellte sich ein Consort-Charakter ein, der nicht nur vier Stimmen verband, sondern ihnen einen gemeinsamen Atem einpflanzte. Das galt bereits im kontrapunktischen (auch gegenläufig) Gegenüber und fand einen Höhepunkt immer dann, wenn alle vier vor einer Fermate zusammenstrebten. Daß sich nicht immer alle Instrumente gleichwertig gegenüberstanden und die zweite Violine sogar einmal pausierte, änderte nichts an dieser Ausgewogenheit. Den Schluß, den Bach nicht mehr aufschreiben konnte, betonte es gar – ephemer, offen, unvollendet, aber doch im Raum schwebend hielt diese Kunst an!

Das MBF ist zuweilen ein Ort, der »unausgewogenen Stimmen« eine Heimat bietet. Die ungewöhnlichen Besetzungen Beethovens (das »Duett mit obligaten Augengläsern« war in den Tagen zuvor bereits erklungen) zählen ebenso dazu wie jene Gioacchino Rossinis. Im Spätabendkonzert stand wieder einmal eine seiner »ungewichtigen« Sonaten mit zwei Violinen (Chad Hoopes und Mira Wang), Violoncello (Henri Demarquette) und Kontrabaß (Alexander Edelmann) auf dem Programm.

»Sonnenschein ist köstlich, Regen erfrischend, Wind fordert heraus, Schnee macht fröhlich – im Grunde gibt es kein schlechtes Wetter, nur verschiedene Arten von gutem Wetter« soll John Ruskin einmal gesagt haben. Jedoch zeigte sich, daß nicht immer das Wetter die Herausforderung ist. Denn »gutes« Wetter verlockt zu verschiedenen Aktivitäten, und so schnatterten nicht nur die Gänse hinter der Schloßterrasse ins Konzert, auch Motorradfahrer fuhren draußen lautstark herum und vor allem ein Konzert oder eine Party hinter dem Teich, deren Bässe und Gesänge herüberhallten, erwies sich als ungemein störend! Wobei es die Erfahrung doch gar nicht braucht – an einem Wochenendtag im Sommer muß man mit so etwas rechnen. Ein Grund mehr, die Terrassenidee zu überdenken? Hatte Rossini mit seiner heiter-rustikalen Anlage der fünften Sonate (Es-Dur) noch etwas Glück, gingen die Verflechtungen und thematischen Bezüge bei Tschaikowski bald verloren. Dabei hatten Chad Hoopes, Mira Wang, Lars Anders Tomter, Sindy Mohamed (Viola) sowie Jan Vogler und Margarita Balanas (Violoncelli) das »Souvenir de Florence« so schön begonnen! Wogend und schaukelnd erhob sich das Streichsextett, nachdem es Chad Hoopes solistisch angestimmt hatte. Daß gerade in solch größerer Besetzung gleichwertige Partner zusammengefunden hatten, konnte erfreuen, aber nur kurz, denn die zarten Verzweigungen, die es zu entdecken gegolten hätte, gingen alsbald verloren. Der Zwischenapplaus (ein unfeiner Neuimport beim MBF) half da nicht. Was blieb, waren rhythmische Strukturen, die mit Vehemenz bestanden und für einen Geschmack von Durchhalten sorgten – schade!

11. August 2024, Wolfram Quellmalz

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