Im Zentrum der Zeit

Zwei herausragende Interpretationen mit Mozart und Messiaen beim Moritzburg Festival

An sich gibt es keine »Klammer«, einen geraden Weg oder zwingenden Grund, die Wolfgang Amadé Mozarts Divertimento Es-Dur (KV 563) mit Olivier Messiaens Quatuor pour la fin du temps verbinden. Insofern durfte man sie am Sonntag auf der Nordterrasse des Moritzburger Schlosses getrost als einzelne Werke wahrnehmen. Gerade darin liegt nämlich ihre jeweilige Einzigartigkeit: sie sind unübertroffene Kammermusikstücke, sogar im Œuvre ihrer Komponisten Solitäre.

Im Fall Mozart ließe sich trefflich dozieren, ob denn die Bezeichnung »Divertimento« (Vergnügen) passend gewählt sei, werden doch die Salzburger Sinfonien (KV 136 bis 138) ebenso genannt. Unterhaltungsmusik? Doch ein »Klaviertrio« ist es nur der äußeren Form nach. Vor neunzehn Jahren, da war das Moritzburg Festival (MBF) noch nicht halb so alt wie heute, nahmen Benjamin Schmid, Antoine Tamestit und Jan Vogler das Werk auf und legten die zeitgenössische Bearbeitung einer Suite zu »Le Nozze di Figaro« bei – nach wie vor hörenswert!

Die Konzertinterpretation vom Sonntag »hörenswert« zu nennen, wäre allerdings eine Untertreibung. Schon deshalb, weil Alexander Sitkovetsky (Violine), Lars Anders Tomter (Viola) und Henri Demarquette (Violoncello) eine so dichte, durchglühte, innige Wiedergabe gelang, daß nicht weniger als ein ganzes Aufführungserlebnis für die Zuhörer daraus wurde. Und ja, ein Vergnügen war dies – absolut! Das lag schon darin, die Ordnung der sechs Sätze zu durchforschen und zu hinterfragen – warum sechs? Und warum diese? Warum baute Mozart das von zwei Allegro umschlossene Werk nicht ganz und gar symmetrisch?

Wie dem auch sei: das geniale an der Konstruktion – wurde hier hörbar – ist, daß sie so viele Höhepunkte hat. Denn die langsamen Sätze leiten zwar jeweils auf ein herziges Menuett hin, haben aber einen eigenen Wert und keineswegs nur die Funktion von überleitenden Intermezzi. Im Gegenteil: im Adagio erreichten Alexander Sitkovetsky, Lars Anders Tomter und Henri Demarquette eine durchdrungene Atmosphäre wie in Schuberts berühmtem C-Dur-Quintett (wofür dieser aber fünf Stimmen brauchte)! Mozarts »Rezept«, die »Wellen« der drei Streicher unterschiedlich zu modulieren (Violine: schnell, Viola, getragen, Violoncello: ruhende Basis) erzeugte über das ganze Werk hinweg immer wieder Spannung – solch himmlische Weiten (oder Tiefen) wünschte man sich öfter …

Wie anders geriet, also klang, der zweite Konzertteil! Und das ist keineswegs abwertend gemeint, denn von Mozart auf Messiaen gibt es weder Aufstieg noch Fall, es sind nicht nur unterschiedliche Zeiten (der Entstehung), sondern Welten. Ein Quartett vom Ende der Zeit – kann denn Zeit enden? Vielmehr steht es wohl für das Ende eines Lebens oder allgemein eines denkbaren, für das Ende einer Welt (und damit einen Übergang zu dem, was nachfolgt). Mira Wang (Violine), Raphaël Sévère (Klarinette), der in dieser Woche zum MBF zurückgekehrte Bruno Philippe (Violoncello) und Wu Qian (Klavier) hoben all dies aus der Taufe – Anfang und Ende, schroffe und sinnliche Welten, wobei sie gemeinsam fragmentarische Figuren zeichneten oder solistisch ganze Bilder schufen, wie Raphaël Sévère, der sehnsüchtig und rhapsodisch spielte, sich bruchlos bis ins feinste Piano gleiten ließ.

Immer wieder läßt Messiaen das Quartett zerfallen oder einzelne Stimmen hervortreten, gerade damit erreicht er ein Höchstmaß an Komplexität. Verblüffend, wie die Streicher teilweise den Eindruck eines Instruments erweckten, wie Mira Wang von kantigen, fahlen Farben in warme Gefilde aufbrach. Wu Qian spielte wiederum ihre Sensibilität der Einfühlung aus, wobei es hier nicht allein galt, sich für das Werk auf drei neue Mitspieler einzustellen, sondern im Verlauf der Sätze immer neue, andere Szenen zu beleuchten.

Wer mochte, konnte diese auch im Text erfahren, denn Messiaen hat nicht nur Titel für die Sätze vorgegeben, sondern ihnen (wie in vielen anderen seiner Werke) einen dezidierten Inhalt zugewiesen. Einen »Schwerpunkt« auszumachen, war da gar nicht möglich, vielmehr ließ sich wohl jeder von dem »Bild« ansprechen, das ihn am meisten berührte, wobei letztlich ein emotionaler Vorsprung bei Raphaël Sévère gelegen haben dürfte.

12. August 2024, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Moritzburg Festival / Benjamin Schmid (Violine), Antoine Tamestit (Viola) und Jan Vogler (Violoncello): Wolfgang Amadé Mozart Divertimento KV 563 und Suite Le Nozze di Figaro, erschienen bei Sony

Hinterlasse einen Kommentar