Auf-Takt

Dresdner Philharmonie startet mit Sir Donald Runnicles und Haydns »Uhr« in die neue Spielzeit

De facto ist die Dresdner Philharmonie noch ohne Chefdirigenten, doch mit Sir Donald Runnicles (designiert), Marek Janowski (ehemalig und Runnicles direkter Vorgänger), Michael Sanderling (ehemaliger) sowie Kahchun Wong (Erster Gastdirigent) kommen in dieser Spielzeit gleich vier »Chefs« nach Dresden. Donald Runnicles wird auch das Silvester- und das Gedenkkonzert zum 13. Februar dirigieren. Mit dem Saisonauftakt gestern setzte er ein erstes Achtungszeichen.

Dabei war das Programm so anspruchsvoll wie – zumindest teilweise – überraschend. Denn Gustav Mahlers fünfte Sinfonie hatte vor nicht einmal acht Monaten zuletzt auf dem Plan gestanden – eine rasche Wiederholung! Joseph Haydns »Die Uhr« (zuletzt 1997 mit Yehudi Menuhin im Programm) lag da schon weiter zurück, knüpfte aber praktisch an Vorgänger Marek Janowski an, der in der Pandemiezeit (Radio) und deren Übergang mit mehreren Haydn-Sinfonien für Glücksmomente gesorgt hatte.

Eröffnungskonzert mit dem designierten Chefdirigenten der Dresdner Philharmonie, Sir Donald Runnicles, Photo: Dresdner Philharmonie, © Oliver Killig

In jedem Fall durfte man gespannt sein, wie die Lesart des Dirigenten ausfällt. Donald Runnicles überraschte bei Haydn mit einer »amerikanischen« Sitzordnung, also mit den Streicherstimmen von den ersten Violinen links bis zu den Celli und Kontrabässen rechts aufsteigend. Sonst wird Haydn heute (wie Mozart) meist in »deutscher« Sitzordnung, also mit ersten und zweiten Violinen sich links und rechts gegenüber, präsentiert. Würden dennoch motivische Kontraste im Vordergrund stehen oder mehr innermusikalische Bezüge?

Zunächst verblüffte die Dresdner Philharmonie mit einem dichten inneren Zusammenhang, der den Anfang wie einen Mahler-Akkord klingen ließ: fahl, schimmernd, groß und weit. Und auch das Auftauchen der an diesem Abend noch vielbeschäftigten, farb- und tongebenden Oboe (Undine Röhner-Stolle), die ganz wunderbar und allmählich aus dem Umgebungsklang auftauchte, paßte in diesen Mahlerkontext. Dann aber brach sich Haydn Bahn, gewann das Presto an Schwung, entfacht unter anderem von einer an diesem Abend anhaltend guten Horn-Gruppe um Gast Emanuel Matile.

Das Uhrpendel des Andante legte mit schöner Regelmäßigkeit Vergleiche zum täppischen »Bären« (Haydns 82. Sinfonie, die Marek Janowski virtuos tänzerisch mit der Dresdner Philharmonie gespielt hatte) oder zum Scherzo aus Beethovens achter Sinfonie, in der der Komponist das Räderwerk der »Maschine« jedoch immer wieder durcheinanderbringt, nahe. Donald Runnicles »Uhr« blieb dem gleichmäßigen Lauf treu, vom genüßlichen Innehalten einer ausgekosteten Generalpause einmal abgesehen.

Im Dirigat verließ sich der Chef in spé, abgesehen von der Spannungsladung in Mahlers Adagietto, auf meist kleine Gesten. Der Dialog zwischen zweiten Violinen und Flöte (Marianna Julia Zolnacz) in Haydns Menuetto schien fast von selbst zu entstehen. Dennoch blieb Sir Donald damit eher auf der Seite der Gediegenheit, Haydns Witz hätte eine Spur mehr Keckheit und schärfere Pointen vertragen!

Mahler hingegen nicht. Gerade der gediegene Klang und die allmähliche (nicht gemächliche) Entwicklung legten manches offen, einen Tristan-Akkord am Ende des zweiten Satzes zum Beispiel, der insgesamt vielleicht der spannungsvollste war. Zuvor hatte die Dresdner Philharmonie den Trauermarsch »aus der Erinnerung« gespielt, also keinen unmittelbaren Marsch-Charakter entfacht, sondern jenen, der gedanklich im Rückblick formuliert scheint – raffiniert! Auch das »Stürmisch bewegt« hatte viel innere Anteilnahme. Zwischen Violoncelli und einem sanften Stakkato der Holzbläser spannte sich eine Musik auf, als sei sie von Tschaikowski fürs Ballett gedacht. Über eine Tuttirampe aufgebaut, meinte man sogar, wie Windmaschine der »Schneeflöckchen« zu hören!

In den Sätzen der Zweiten und Dritten Abteilung wiederum kehrte der Duktus Mahlerischer Orchesterlieder zurück – so fern lag die »Wunderhornzeit« (mit der man im allgemeinen die ersten vier Sinfonien verbindet) also doch nicht. Nein, nicht das (reichlich überstrapazierte) Adagietto war der gelungenste Satz, viel mehr beeindruckte zuvor (Scherzo) zum Beispiel das Horn-Solo, an das sich die Pizzicati von Celli und Kontrabässen anfügten, schlank und klar wie Lautenmusik!

31. August 2024, Wolfram Quellmalz

Im nächsten Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie kehrt Marek Janowski ans Dirigentenpult zurück (6. September, Beethoven I und Bruckner VII), davor treffen sich Palastorganist Olivier Latry und Emanuel Pahud (Flöte) zum Orgelkonzert (4. September).

https://www.dresdnerphilharmonie.de

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