Harmonie und Nachhall

Beethoven und Bruckner mit der Dresdner Philharmonie und Christoph Eschenbach

Der »Knall« hallte noch nach, der Rauch schien nicht abziehen zu wollen, denn die schlichte Meldung, Marek Janowski habe aus »persönlichen Gründen« nicht nur das Konzert mit der Dresdner Philharmonie am Freitag abgesagt, sondern jegliche Zusammenarbeit mit ihr beendet, inclusive des als Saisonhöhepunkt erwarteten »Tristan« im März, war für viele ein Schock. Die lapidare Meldung erklärt natürlich nichts, läßt die Gerüchte »ins Kraut schießen«. Auch Freitagabend durchzog ein Gewaber des »Weshalb?« und »Warum?« den Kulturpalast noch bis in den Konzertsaal hinein.

Drinnen herrschte dann aber einträchtige Ruhe, denn letztlich galt’s der Kunst, der Musik, und immerhin hatte die Dresdner Philharmonie als Ersatz einen anderen Altmeister aufgetrieben, Christoph Eschenbach, dessen letzter Besuch nun schon sechzehn Jahre zurücklag, 2008 in der Frauenkirche. Schon damals bereits musizierte man Bruckner.

Christoph Eschenbach und die Dresdner Philharmonie im Kulturpalast Dresden, Photo: Dresdner Philharmonie, © Oliver Killig

Die erste Konzerthälfte gehörte jedoch Ludwig van Beethovens erster Sinfonie, und es schien, als wolle Christoph Eschenbach die innerorchesterliche Harmonie besonders herausstreichen, so schön balancierte er die Ausgeglichenheit aus. Oder hatte die Lücke, die wie ein Keil die Gruppe der Kontrabässe und Violen rechts »abtrennte« und teils durch die Celli ging, eine besondere Bedeutung? Wohl nicht, sie war der Orchesteraufstellung geschuldet sowie der Besetzung, die bei Beethoven deutlich kleiner war als bei Bruckner und eben diese Lücke öffnete.

In der Feinzeichnung hatten weder Orchester noch Dirigent nachgelassen, überraschend federleicht gerieten gerade Allegro und Finale, gaben den »Blick« frei auf »Leonoren-Töne«, also Holzbläser, die teils bereits Beethovens Opernheldin aufscheinen ließen (»Fidelio« kam etwa fünf Jahre nach der ersten Sinfonie auf die Bühne). Geradezu typisch dafür war die Oboe am Ende des Andante.

»Con moto«, mit Bewegung, ist dieses weiter bezeichnet, doch bei Christoph Eschenbachs geradezu harmoniesüchtiger Interpretation war es eine eher innerliche Bewegung. Nur im Menuetto, dem eigentlichen Scherzo, spendierte er ein klein wenig Feuerfunkeln. So schön und gewogen das insgesamt klang – etwas mehr »Welle« und Aufregung hätte man bei Beethoven, zumal dem jungen, stürmischen Komponisten, doch erwartet.

Und Bruckner? Seine Sinfonie Nr. 7 E-Dur breitete sich fast wie ein Wagner-Altar vor den Zuhörern aus. Der »Keil« im Orchester war übrigens geblieben, wenn auch deutlich kleiner, und wie bei Beethoven nur sichtbar, nicht zu hören. Hören konnte man bei Bruckner dagegen viel, und in der Siebenten eben Wagner zwischen »Tannhäuser« und »Tristan« (Autsch!). (Wo bleibt der erlösende »Elisabeth«-Ruf, der Tannhäuser zur Besinnung bringt?)

Was zuvor ein wenig glatt und oberflächlich schien, wuchs nun zu einem mehrfachen Amalgam. Hatte Christoph Eschenbach bei Beethoven Hörner, Posaunen und Holzbläser sinnig verbunden, schmolz er nun beständig die Instrumentengruppen um, beginnend mit den Hörnern und Violoncelli, die einen Wagner-Nachklang formten. Großartig war, wie Eschenbach dies über eine Tuttirampe in ein Crescendo schweben ließ. Kein trutziges Plateau, sondern eine bewegliche sinfonische Landschaft, die sich erst im Finale endgültig »nach oben« schwingen sollte.

Hier konnte man der übermäßigen Harmonie also nachvollziehbar und nachhörbar Vorteile abgewinnen. Oder den Klangformungen folgen, dem Einsatz der Wagner-Tuben, welche die Philharmonie nicht herausgelöst als YouTube-Beispiel präsentierte, sondern dicht eingeschlossen im Werk beließ.

Aus dem süffigen Wandel ragten Soli heraus, vom Violoncello (Ulf Prelle) oder aus der Horngruppe, die aber ebenso eingeschlossen bleiben in einen Grundgedanken oder eben Bruckners Motivverläufe. Das Adagio, mehrfach von Steigerungswellen durchzogen, gewann dabei eine schier unendliche Weite. Eine spannungsvolle Gediegenheit entwickelte sich im Scherzo, bevor das Finale fast schon frühlingshaft leicht begann. Jetzt erst durfte sich ein einzelnes aufsteigendes Motiv markant hervortun, erreichte Bruckner sein beeindruckendes Gipfelplateau.

7. September 2024, Wolfram Quellmalz

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