Glückliches Tschechien!

Václav Luks und das Collegium 1704 beim Dvořák-Festival in Prag

Smetana stand beim 24. Dvořákova Praha zwar durchaus auf dem Programm, aber nicht seine »Moldau«. Diese blieb sogar im doppelten Sinn draußen, denn obwohl der Fluß tatsächlich deutlich über die Ufer getreten war und die Tiefgarage vorsichtshalber geschlossen blieb, gehörte doch einem anderen Tschechen bzw. Böhmen der Vorzu und die Bühne: Antonín Dvořák. So auch am Sonntagabend, als das Collegium 1704 mit seinem Leiter Václav Luks zu Gast war. Er führte mit dem Eric Guo ein Projekt fort, bei dem Klavierkonzerte auf historischen Flügeln (bzw. Nachbauten) erklingen. Der kanadische Pianist hatte im vergangenen Oktober den zweiten Chopin-Wettbewerb für Pianisten auf historischen Instrumenten gewonnen – Václav Luks hatte dabei nicht nur in der Jury gesessen, sondern Eric Guo kurz danach zu einem Konzert der Musikbrücke Prag – Dresden eingeladen [NMB berichteten: https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/10/22/wiederhoren-macht-freude/%5D. Nun also wurde die Partnerschaft im Prager Rudolfinum fortgesetzt.

Václav Luks und Eric Guo (Veranstaltungsplakat)

Doch so richtig beglücken konnte der Flügel (ein Nachbau von 2011) in Antonín Dvořáks Klavierkonzert Opus 33 nicht. Klar: typisch ist, daß sich bei solchen Instrumenten der Toncharakter zwischen hohen und tiefen Lagen wandelt, teils sogar sehr unterscheidet. Doch gerade im oberen Bereich der Melodie Klang das Instrument sehr metallisch, hart und mit wenig Nachklang – im großen Saal und gegenüber dem Orchester fehlten da Präsenz und Farbe. So konnte jener Klang der Originalinstrumente im Orchester mehr berauschen, vor allem mit den wunderbaren Hörnern und dem gediegen schimmernden Fagott. Leicht und versiert blieb Eric Guos Spiel dennoch überzeugend (wie schon im Oktober), womit er das Publikum begeisterte und sich letztlich vier (!) Zugaben holte. Viermal Chopin, der als eingeschlossenes Rezital im Abend nun durchaus die schimmernderen Saiten der mittleren und dunklen Lagen präsentierte.

Letztlich war der Eindruck, wenn auch vollkommen anders (weil sich Programm und Saal unterschieden) doch vergleichbar mit dem Konzert in der Dresdner Lukaskirche. Schon damals hatte die nachfolgende Sinfonie am meisten begeistert. Wie dieses Mal: die Werke Jan Václav Kalivodas (Johann Wenzel Kalliwoda) kennt man allenfalls aus der Literatur oder dem Radio (einzelne Sätze), eine ganze Sinfonie hatten selbst die NMB noch nie im Konzert gehört! Nun gab es für das Publikum mit der letzten, der siebenten Sinfonie (g-Moll) ein echtes Entdeckerstück, das mit dem ersten Satz nicht nur unmittelbar in die Beethovenzeit führte, sondern aus einem tiefen Raunen eine instrumentale FlorestanArie (»Gott, welch Dunkel hier!«) anzuheben schien. Doch Kalivoda war kein Plagiator, nahm allenfalls einen Impuls auf, und so fachte das Allegro non tanto mit Feuerstößen der Blechbläser energisch das Energieniveau an. Das Scherzo wurde seinem Charakter gerecht, blieb aber dramaturgisch ins Werk eingebunden und steuerte auf einen Höhepunkt zu, von dem aus Václav Luks den Marcia forciert anstimmte – das daraus wachsende Adagio entwickelte sich erst, nachdem die Streicher heftig die Bögen durchgerissen hatten, was den Violinen wahre Trompetentöne entlockte! Es schien, als stecke doch Florestan in dieser Sinfonie, die im dritten Satz so dunkel floß, und doch einen Freiheitsgedanken in sich trug, was das Stakkato mit Pauke noch einmal nachdrücklich unterstrich.

Normalerweise hätte nun Schluß sein können, doch Václav Luks holte für Antonín Dvořáks Hymnus »Dědicové Bílé hory« zum Orchester noch das Collegium Vocale 1704 hinzu. Genaugenommen erklang diesmal die englische Version des Hymnus‘ (»The Heirs of the White Mountain« John Troubeck), die vermutlich erstmalig in Tschechien (und seinen Vorgängerstaaten) zu hören war.

Der instrumentale Klang der Bläser fing den Chor dabei nicht nur ein, er umgab ihn mit einem vokalen Gestus, als seien es weitere Sänger. Der Chor ließ die patriotischen Zeilen betont kraftvoll fließen (kein Absetzen am Strophenende) und arbeitete die vierte (»The poor man hearkens in his lowly dwelling waits till the tones of hope« / »Der arme Mann lauscht und wartet in seiner bescheidenen Behausung und auf die Töne der Hoffnung«) geradezu expressiv heraus. Nach fahl schimmerndem Beginn steigerte sich der Text (»As he may freedom even yet be gaining« / » Wie er vielleicht sogar noch Freiheit erlangt«) enorm, was der darin verankerten Hoffnung eine unmißverständliche Kraft verlieh.

Václav Luks zeichnete die Zeilen, auch einmal mit deutlicher »Handkante«, präzise heraus, ließ Cello und Hörner einen akustischen Rahmen bauen und den Chor in einem großartig fugierten Schluß wachsen.

17. September 2024, Wolfram Quellmalz

https://collegium1704.com/de/

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