Nach einem Sonderkonzert eröffnet Petr Popelka die Spielzeit mit den Wiener Symphonikern
So lang kennen sich Dirigent und Orchester noch gar nicht. Gerade einmal zwei Jahre ist es her, daß Petr Popelka bei den Wiener Symphonikern mit Mahler 1 einsprang. Es war eine beidseitig »zündende« Begegnung, die Folgen hatte. Zunächst andere Konzerte (auch Konzertreisen), seit dieser Spielzeit ist Petr Popelka nun Chefdirigent der Wiener Symphoniker, mit denen er in der kommenden Saison gleich ein Jubiläum feiern wird. Seit 125 Jahre besteht dann das Orchester, die meiste Zeit (seit 1913, damals noch als Wiener Concertverein Intermezzo interotto) residierte es im Konzerthaus Wien.
Petr Popelka legte gleich richtig los: binnen kurzem gab er seinen Einstand mit einem Sonderkonzert und Arnold Schönbergs »Gurre-Liedern« (zum 150. Geburtstag des Komponisten), in dieser Woche folgte der offizielle Amtsantritt (Mittwoch) im Konzerthaus Wien samt Begrüßung des Wiener Bürgermeisters und Landeshauptmanns Michael Ludwig und von Intendant Jan Nast, woran sich sogleich die erste Gastspielreise der Saison anschließt. Dieses »loslegen«, voller Energie, aber keineswegs ungestüm, paßt zu Petr Popelka. Gerade einmal vier Jahre ist es her, daß der die Sächsische Staatskapelle Dresden verließ und seine Stelle als Stellvertretender Solo-Kontrabassist aufgab, um Dirigent zu werden …
So einer hat Tatendrang und kann zupacken, ist wie geschaffen für große Werke, doch Peter Tschaikowskys erstes Klavierkonzert und Béla Bartóks Konzert für Orchester (Sz 116) verrieten zudem eines: der Tscheche hat einen ausgeprägten Sinn für Klang!

Wie schade, daß ausgerechnet gleich der erste eine Mißklang in sich trug – ein dicker Horn-Patzer im Anfangsthema bei Tschaikowsky. Ärgerlich, doch bezeichnen Hornisten ihr Instrument selbst oft als »Glücksspirale«, weil es noch gestandene Berufsmusiker mit einem Kiekser überrascht [ebenso ungestandene, wie der Rezensent, der vor vielen Jahren selbst auf dem Horn dilettierte, anmerkt]. Das ist zwar ärgerlich, war aber schnell vergessen. Vor allem: es sorgte nicht für Unruhe. Vielmehr konnte Petr Popelka einen stetigen Fluß in diesem wandelbaren Stück aufbauen, das so manche erfreuliche Überraschung barg. Denn der umsichtig agierende Dirigent bewahrte dem an sich wuchtigen, pathetischen Stück, das an manchen Stellen fast schon vulgär wirkt, einen ausgeprägten Klangsinn, und so schien es am Ende des ersten und Beginn des zweiten Satzes, als dringe Ravel – immerhin ein Meister der Klangfarben und Orchestrierung – bei Tschaikowsky durch.
Wesentliche Anteile daran lagen nicht nur bei der Solistin Anna Vinnitskaya, die hier munter perlende Wellenspiele beisteuerte, sondern bei Erwin Klambauer, dessen Solo-Flöte noch für manchen beglückenden Moment an diesem Abend sorgte. Anna Vinnitskaya konnte sich derweil darauf verlassen, von den Wiener Symphonikern umfangen zu bleiben, ließ der Pathetik freien Lauf, was bedeutete, daß sie sie nicht pastös zelebrierte, sondern kraftvoll und mit Vehemenz, aber dosiert vorbracht, bis zur virtuos ausgezirkelten Kadenz. Ihr kräftiger Anschlag blieb dabei differenziert und fand mühelos in leichtere, beschwingtere Gefilde, wo sie sich mit Petr Popelka und den Wiener Symphonikern wieder vereinte.
Die Zwei- oder Dreisamkeit unterstrich die Pianistin mit einer Zugabe, die wie ein Gruß aus ihrer Heimat an die Gastgeberstadt schien: Dmitri Schostakowitschs Lyrischer Walzer.
Nach der Pause fand das wohl noch prächtigere Stück seinen Weg auf die Bühne, auch wenn Béla Bartóks Konzert für Orchester in der Publikumsgunst vielleicht nicht so hoch gehandelt wird wie Tschaikowskys prachtvolles Klavierkonzert (auch nach der Aufführungshäufigkeit der Wiener Symphoniker steht es 64 zu 38 für Tschaikowsky). Doch Bartóks Werk entwickelt eigentlich immer einen ungeahnten, vereinnahmten Sog, begeistert mit seiner Raffinesse der Stimmverschlingungen, die so eigene Wege gehen , nicht Concerto grosso und nicht Kontrapunkt sind. Und genau da liegt die Crux, hier die Spannung zu erhalten und ein Ziel zu fokussieren.

Mit tiefen, aus dem unahnbaren irgendwo kommenden Streichern, raunenden Violoncello formte Petr Popelka ein fast figuratives Gebilde, das Sinfonik und Symphonik im wahrsten Sinn des Wortes war, die Klanglandschaften der Streicher ebenso ausleuchtete wie die hellen Holz- und die glänzenden Blechbläser einfügte. Mal durften sich zarte Soli markant aufsetzen, dann wieder amalgamierte Popelka die Gruppen, so daß Holz und Blech praktisch nicht zu unterscheiden waren. Bartók verlangt einfach beides: Struktur, also Übersicht und Ordnung, aber auch Klang, ohne den nicht nur die Atmosphäre verlorenginge.
Und dieser Klang erwies sich in seiner Wandelbarkeit nicht als beliebig, sondern zielgerichtet (also gemäß dem Strukturanspruch). Ein Tuttischlag, der bei Tschaikowsky eben noch überwältigend schien, war hier viel schärfer, konturierter. Weniger herausragende Soli als verschmolzene Kadenzen (und doch nicht nur rhapsodisch) arbeitete Petr Popelka in »seinem« Bartók heraus, dem man vielleicht das schönste Kompliment machen kann, weil er im Intermezzo interrotto Sinnlichkeit fand. Zuvor war eine dunkle, mystische Melodik angeklungen, bald schon überspitzte Bartók seine Orchesterfarben in groteske Parodie – da sage einer, ein »Intermezzo« sei nicht mehr als ein Zwischenstück (würde ein Wiener wohl spätestens seit Schubert nie sagen).
Das Finale baute Petr Popelka umsichtig auf. Er weiß wohl nicht nur, was er an seinem Bartók hat, sondern auch an seinem Orchester. Die kommenden fünf Jahre könnten sinfonisch äußerst fruchtbar werden …
20. Septe,ber 2024, Wolfram Quellmalz
Das Konzert wurde aufgezeichnet und wirs am 13. Oktober, 11:00 Uhr, im Radio übertragen (Sender Ö1, »Matinee«, auch via Internet zu empfangen)