Zu schön, um wahr(haftig) zu sein

Sonderkonzert der Sächsischen Staatskapelle mit Rudolf Buchbinder

Die Beziehung von Rudolf Buchbinder zu Dresden muß eine besondere sein. Nach Besuchen bei der Philharmonie und Beethoven-Konzertzyklen dort, noch im alten Kulturpalast, kehrte er bei der Staatskapelle ein und immer wieder an die Semperoper zurück. Hier spielte er Beethovens Sonaten ein, Beethoven und Mozart vor allem gehörten auch die Konzertprogramme. Da war ein Sonderkonzert eigentlich die konsequente Folge: drei Mozart-Klavierkonzerte mit dem Pianisten als Leiter am Flügel.

Die Chronologie der Klavierkonzerte Nr. 27 (B-Dur / KV 595), Nr. 21 (C-Dur / KV 467) und Nr. 20 (d-Moll / KV 466) schien rückwärts zu weisen, bei näherer Betrachtung der Entstehung wanken solche Fakten freilich schnell, legt man Bezüge offen, noch schneller. Dramaturgisch auf jeden Fall war es schlüssig: prachtvoller wurde es im Verlauf des Abends, aber auch subtiler, opernhafter, dunkler, in jedem Fall dramatischer.

Rudolf Buchbinder (Klavier und Leitung) und die Sächsische Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Was nur verwunderte, war, daß die Kapelle mit diesem Repertoire in den Kulturpalast zog (während im Opernhaus parallel »Otello« gegeben wurde) und der Pianist eine Orchesteraufstellung mit den Violinen nebeneinander und den Violen gegenüber wählte. Was für große Sinfonien typisch, ja angebracht ist, scheint hinsichtlich der Themenvorstellung und -entwicklung doch fast schon wider Mozart! Zudem stand das Orchester vor dem Problem, daß ein Teil der Musiker Rudolf Buchbinder, also sein Dirigat, gar nicht sehen konnten – weil der Saal zu groß ist, um den Flügel um neunzig Grad zu drehen oder auf den Klangspiegel des Deckels zu verzichten, was in der Semperoper möglich gewesen wäre? Wie das Friedrich Thiele (Violoncello) und gerade Florian Richter (Viola) ausglichen, in dem sie »blind« Führungsarbeit übernahmen, sprach nicht nur für das Verständnis gegenüber der Auffassung des Dirigenten, sondern vor allem für die Gegenseitigkeit innerhalb des Orchesters. Von da kamen ohnehin eine ganze Reihe der schönsten Klang-Schlüsse.

Denn geklungen hat es ganz hervorragend. Wie die verhältnismäßig kleinen Streichergruppen in sich homogen wie eine einzige Stimme schienen und sich gegenseitig banden, war schlicht umwerfend. Die Bläser gesellten sich offenbar mühelos in dieses Gefilde, fügten sich ins farbige Miteinander und unterschieden zwischen goldenem Tutti, markanten Baß-Pulsen und kleinen Soli – nicht immer suchte Mozart einen dialogisierenden Weg.

Und dennoch fehlte all der polierten Schönheit hier und da ein wenig das Prickeln. Allzu perlenmatt schimmernd geriet vor allem das erste (also 27.) Klavierkonzert von Wolfgang Amadé. Dem Einklang misste mehr als nur ein wenig der kecken Frische (oder Mozartische Frechheit), des ungestümen Funkenstiebens. Mag sein, daß es um Nuancen ging, aber hätte eine »Funktionstrennung« von Klavier und Leitung nicht gerade zu solcher Schärfung, einer Spannungsbereicherung, beitragen können? So fein der Steinway-Flügel perlte – da hätte sich mancher ein wenig Risiko, ja Übermut gewünscht! Zumal Rudolf Buchbinder diesmal nur kurze eigene Kadenzen sowie überlieferte spielte und nicht – was er sonst gern macht – improvisierend abschweifte.

Doch wie gesagt: hinsichtlich des Klangs war dieser Abend überragend. Von der Oboe (Céline Moinet), die in KV 595 als eine der ersten zart solistisch ausbrach und nach Beethoven zu rufen schien, bis zum wunderbaren Übergleiten in KV466, das sich nach düsterem Verlauf plötzlich in harmonisches D-Dur auflöst. Überhaupt boten das zweite und dritte der Konzerte (nun mit Trompeten und Pauke bereichert) noch einen »Schuß« mehr Oper. Natürlich hat Mozart auf das dialogische Prinzip vertraut und es nicht gemieden, nur beliebig anwenden mochte er es offenbar nicht. Solch gezielter Einsatz steigert den Effekt, wie die Fagotte im d-Moll-Konzert deutlich machten. Hier kam sogar einen Vorteil der ungewöhnlichen Aufstellung zum Tragen, als die Gruppe der Violen das Gegenthema samten in die Romance einfließen ließ.

Der Geist von Don Giovanni behielt gegenüber dem nahenden Beethoven letztlich die Oberhand, der schöne Klang wuchs schier berauschend – langer, begeisterter Applaus für Solist und Orchester war die logische Folge.

12. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz

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