Festliche Orgelklänge

Balthasar Baumgartner an der Silbermann-Orgel der Hofkirche

Einen direkten Bezug auf einen der Feiertage, den Reformationstag oder – passender für den Ort der Hofkirche – Allerheiligen, hatte das Programm von Balthasar Baumgartner am vergangenen Mittwoch im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ nicht, sieht man vom Choral »Vater unser im Himmelreich«, den Felix Mendelssohn in seiner sechsten Orgelsonate verarbeitet hatte, ab – keine zwingende Verbindung. Darüber hinaus bot der Organist nicht zuletzt festliche Töne vor den beiden Feiertagen.

Allerdings offenbarte sich erneut eine Crux: Wie viele Organisten oder überhaupt Musiker wollte Balthasar Baumgartner Johann Sebastian Bach sicher den ihm gebührenden Platz einräumen und spielte dessen Phantasie und Fuge g-Moll (BWV 542) am Ende. Der Nachteil ist: mit diesem Bach immer wieder gewährten »letzten Wort« stellt sich oft auch ein Effekt ein, daß die zuvor erklungenen Werke »in ihre Schranken« gewiesen werden.

Louis Marchand (nach 1732), Kupferstich von Charles Dupuis  (1685–1742)  nach dem Gemälde eines nicht identifizierten Malers (Robert?), Bildquelle: Wikimedia commons

Vielleicht hätte Balthasar Baumgartner sein Programm auf den Kopf stellen sollen? Denn er begann mit dem vielleicht faszinierendsten Werk des Abends, Louis Marchands Grand Dialogue, und machte einen der bemerkenswertesten Orgelvirtuosen des 17. und 18. Jahrhunderts endlich wieder einmal hörbar – zu oft wird Marchand der (unbestätigten) Dresdner Anekdote um das Improvisationsduell mit Johann Sebastian Bach wegen zwar erwähnt, aber eben nicht gespielt! Balthasar Baumgartner ließ das französische Kolorit, das den Perlmutter der Renaissance ebenso enthielt wie das Silber des Barock, in der ausgedehnten Anlage schimmernd und vielgliedrig erklingen – weit mehr als nur ein (zweistimmiger) »Dialog« oder eine prachtvolle Zuschaustellung!

Festlich, aber auch fröhlich, ging es mit Georg Friedrich Händels Orgelkonzert B-Dur (Opus 4 Nr. 2) weiter. Und wie schon bei Marchand erkundete der Organist sorgsam Raum und Instrument – noch einmal überwog nicht das Feuerwerk, sondern die feine Zier. Im Adagio e staccato milderte Balthasar Baumgartner die musikalischen Zacken so sanft, daß Händels Konzert schon in die empfindsame Epoche zu weisen schien. Mit dem Allegro ma non presto kehrten die barocken Schmuckspitzen jedoch zurück.

Von hier gab es einen Sprung über die Empfindsamkeit hinaus bis weit in die Romantik, denn diese war bei Camillo Schumann bereits deutlich fortgeschritten. Ein wenig wirkte der Klangschimmer des Andante cantabile fast verschwommen, zumindest im Vergleich mit dem zuvor gehörten. Das folgende Intermezzo mit seinen figurativen Wiederholungen und Strukturen war da deutlich »greifbarer«. Vielleicht hätte sich Balthasar Baumgartner bei den Ausschnitten aus der Orgelsonate für das expressivere Allegro con brio entscheiden sollen? Denn auch im Vergleich mit Felix Mendelssohn verblaßte Schumann (mit Robert nicht verwandt, doch sein jünger Bruder Clemens war Geiger der Sächsischen Staatskapelle) deutlich. Bei Mendelssohn liegt die Ahnung, er führe Bach in die Romantik, in manchem Stück, so wie hier: Balthasar Baumgartner stellte den Luther-Choral zunächst vor und hob die der Choralmelodie gegenüberstehende Stimme gleichwertig heraus. Insgesamt beeindruckte das Werk gerade deshalb, weil es die Variationen nicht in einer Art Charakterstücke virtuos bis zirzensisch überspitzt und verdreht, sondern den Choral sozusagen immanent über den Formen der Sonatensätze bestehenläßt. Das führte in der Fuge zur vielleicht kunstvollsten Darstellung, bewahrte aber Luther als Ursprung. Statt einer Folge von Variationen überwog der Charakter – gewichtiger werdend zuerst, dann fließend, als Stimmenchor (Fuge) und schließlich mit einem gedämpften Ausgang.

Gerade deshalb hätte die Sonate gut ans Ende des Programms gepaßt. Trotz kurzer Pause wirkte der Einsatz der Phantasie aus BWV 542 ein wenig brachial. Freilich waltete Balthasar Baumgartner mit großer Kunstfertigkeit und führte das Meisterwerk auf einen – dem einen wie dem anderen Feiertag gemäßen – Gipfelpunkt.

31. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Mittwoch spielt Benedikt Bonelli (Basilika Kempten) im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ Werke von Max Gulbins, Franz Schmidt und Arvo Pärt in der Kreuzkirche (Beginn: 20:00 Uhr, Gespräch »Unter der Stehlampe« 19:19 Uhr).

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