Alexander Merzyn dirigiert Werke von Strauss und Dvořák bei der Neubrandenburger Philharmonie
Offene Proben gehören heute vielerorts zu den Angeboten, ein neues Publikum zu gewinnen – zwanglos (keine Konzertkleidung bei Orchester und Publikum) und mit einem günstigen Eintrittspreis. Schließlich ist auch eine Generalprobe eine Probe, gegebenenfalls muß man damit rechnen, daß wirklich noch geprobt wird. In der Erwartung ist die Atmosphäre also noch nicht von jener Dichte wie in einem »echten« Abendkonzert. Nicht zuletzt, weil das neue Publikum, zu dem Kinder und Schulklassen gehören, vielleicht unruhiger ist.

Ein weiterer Vorzug der öffentlichen Proben ist die Anfangszeit am Tage. Zumindest war dies gestern so, als der Rezensent um 10:00 Uhr in der Konzertkirche Neubrandenburg sein konnte, während die Abende des 3. Philharmonischen Konzerts der Neubrandenburger Philharmonie ausnahmslos mit anderen Diensten verplant waren.
Neugierig gemacht hatten uns zwei »Faktoren«: das Gastdirigat von Alexander Merzyn, den wir in Cottbus bereits in zwei Opernproduktionen erlebt haben, sowie das Solistenduo mit Wilfried Strehle (Viola) und David Geringas (Violoncello). Der erstere war von 1984 bis 2013 Solo-Bratschist der Berliner Philharmoniker, der andere gehört zu den besten aktiven Cellisten der Welt. »Weltspitze« ist keine Übertreibung – wir erlebten David Geringas mehrfach, besonders ist uns ein Kammerkonzert mit Ian Fountain im Schloß Albrechtsberg (Dresden, Februar 2017) in Erinnerung geblieben (https://neuemusikalischeblaetter.com/2017/03/02/der-meistercellist/).
Die oben genannten Erwartungen zur Generalprobe erfüllten sich insofern, daß die Veranstaltung nahezu ausverkauft war. Andrang an der Kasse, die erwarteten Besuchergruppen waren zahlreich gekommen. Auf dem Programm stand zunächst Richard Strauss‘ »Don Quixote, Phantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters«. Alexander Merzyn erläuterte zuvor kurz wesentliche Inhalte, verwies auf Themen und die Instrumentale Besetzung von Don Quichotte, Sancho Pansa und Dulcinea – eine Navigationshilfe für alle, die den Text bzw. die Geschichte nachvollziehen wollten.
Doch selbst ohne dies, wenn man es als absolute Musik hören mochte, erkannte man Strauss fast augen- bzw. ohrenblicklich. Sein Idiom ist typisch, für Ersthörer sicher interessant und zum Merken geeignet. Alexander Merzyn ließ das Orchester die Szenen pittoresk ausgestalten, das erste Solo (Klarinette in der Rolle eines Erzählers) hervortreten, bald folgten Wilfried Strehle und David Geringas mit ihren ungleichen Anteilen – Sancho Pansa und Don Quichotte sind so unterschiedlich wie ihre Gefährte (der namenlose Esel und das Roß Rosinante). Solche Tierassoziationen lagen gar nicht fern – wie der Dirigent erläutert hatte, gibt es in »Don Quichotte« Szenen mit blökenden Hammeln, die Strauss instrumentiert hatte.

Schon jetzt fiel die starke Violagruppe auf, die mehr als eine Basis des Orchesters ist, homogen färben kann. Das sollte auch nach der Pause so bleiben. Nach wie vor betörend sind die klanglichen Qualitäten von David Geringas, der einen Ton formen kann, keinen großen Auftritt braucht. Beherzt zupacken kann er nach wie vor, dem Cello seine Emotionalität lassen bzw. sie der Rolle einpflanzen. Schön, daß dies mit dem Orchester korrespondierte, wie den zugespielten Soli, etwa vom Kontrafagott. Wilfried Strehle war dem nicht nur ebenbürtig, sondern ließ seine Viola mit dem Violoncello ein Zwiegespräch finden, garniert von Flöte oder Klarinette. Im Konzert wäre folgt danach sicher eine Zugabe.

Im kurzen Pausengespräch erwischten wir Friederike Jahn (Konzertmeisterin 2. Violinen), die sich über den Ablauf und das Ergebnis freute, ebenso über das Dirigat. Der etwas andere Lärmpegel, die Unruhe, wenn doch einmal ein Handy klingelt, mache die Proben nicht anstrengender als ein Konzert. Das offene Konzept scheint also auch beim Orchester anzukommen. Und daß die Schulklassen (teilweise) für den zweiten Teil nicht blieben, ist in Ordnung – fürs erste Heranführen genügt ein Stück, für das ganze Programm ist später noch Zeit.
Verpaßt haben sie trotzdem etwas: Antonín Dvořáks siebente Sinfonie. Vielleicht die schönste, wie Alexander Merzyn meinte. Was sich in den Szenen zuvor schon andeutete, wurde jetzt noch offensichtlicher: der Cottbuser GMD ist ein Gestalter. Einer, der nicht nur ein »Händchen« für Farben hat, worüber wir uns in »Tristan« und »Tosca« bereits versichern konnten, sondern der szenische Darstellung und spannungsreiche Verläufe darzustellen versteht (wofür die linke Hand besonders wichtig ist). So wie bei Dvořák. Dunkel begann der erste Satz, wurde aber bald mit Leidenschaft durchsetzt. Die Streicher entwickelten eine Eloquenz, die teilweise an Brahms erinnerte. Merzyns Gestaltung band das Decrescendo in den Spannungsbogen ein, kurz darauf wurde der Komponist der Slawischen Tänze offenbar.
Das Poco adagio strahlte eine große Ruhe aus, während das folgende Scherzo ein Beispiel war, wie wichtig Schlagwerke oder (in diesem Fall) Pauken sind, um eine Musik, einen Rhythmus lebhaft anzufachen. Im Schlußsatz setzte sich Alexander Merzyns farbenreiche Gestaltung fort bzw. war seine linke Hand wirksam. Mit dunklen Passagen wie zu Beginn, aber auch beherzter Jagdatmosphäre (Hörner) kam Dvorak zu einem mitreißenden Schluß. In der Tat – seine vielleicht schönste Sinfonie!
8. November 2024, Wolfram Quellmalz
3. Philharmonisches Konzert, auch heute im Ernst-Barlach-Theater Güstrow sowie am Sonntag im Landestheater Neustrelitz.