Richard Strauss‘ »Intermezzo« feiert Premiere an der Semperoper
Im Video zur Spielzeitvorschau hatte sich Regisseur Axel Ranisch als quecksilbrig überquirliger, wenn nicht überdrehter Akteur präsentiert. Ranisch ist kein dezidierter Theater- sondern studierter Film- und Fernsehregisseur, außerdem Darsteller, Autor, Filmkomponist, Filmeditor … – ein »Multiperformancekünstler«. Mancher sah der Premiere von Richard Strauss‘ »Intermezzo« am vergangenen Freitag an der Sächsischen Staatsoper daher wohl eher angespannt entgegen, mochte sich Intendantin Nora Schmid noch so sehr auf eine »witzige Ehekrise« freuen. Doch die Anspannung entlud sich schnell, denn Axel Ranisch und seinem Team ist es gelungen, den Ideenrausch und Kreativitätsstrom zu fokussieren und zu kanalisieren.
Es gibt tausend Spielarten, einen Opernstoff aufzugreifen. Ihn in unsere Zeit zu übertragen ist der eine Pol, ihn zu belassen, wo er herkommt, der andere, dazwischen bieten sich viele Stufen an. Warum also, wenn der Komponist tatsächlich sich und seine Eheliebste in einem Werk verewigt hat – obwohl sich die damaligen Geschehnisse und Verursacher nicht genau ergründen lassen (wollen) – den Faden nicht dort aufnehmen, wo sich per Uraufführung tatsächlich ein Ausgangspunkt festmachen läßt? Richard Strauss‘ »Intermezzo« feierte am 4. November vor einhundert Jahren seine Weltpremiere im Dresdner Schauspielhaus.

Damals stellte Richard Strauss seiner Ehefrau Pauline (vielleicht) ziemlich unvorbereitet sein neuestes Werk vor, das zwischen den Protagonisten sowie dem Autor und seiner Gemahlin verblüffende Parallelen erkennen ließ: der hochgehrte, viel reisende und meist abwesende Hofkapellmeister Robert Storch ist wieder einmal unterwegs, seine Frau Christine muß sich allein um Haus, Haushalt und Bedienstete kümmern. Da drängt sich ihr ein junger Baron auf, der, wie sich aber noch zeigen soll, jedoch eher monetäre Interessen hat.

Während sich Christin auf Bällen mit dem Baron sehen läßt und vielleicht etwas freizügig tanzt, schneit ein Brief an ihren Mann herein. Kein echter Liebesbrief, sondern die Verabredung zu einem Stelldichein mit einer gewissen Mieze Maier. Hat der Hofkapellmeister eine Affaire? Mitnichten – der Brief war nicht korrekt adressiert und landete im falschen Haus. Nun könnte man meinen, das wäre weit weniger schlimm als die Sache Gustav Mahler, dem Walter Gropius einst (tatsächlich) einen echten Liebesbrief an dessen Frau Alma zukommen ließ, ebenfalls falsch adressiert: nicht an die Geliebte, sondern deren Ehemann. Indes – die temperamentvolle Christine schäumt und wütet gegen den Gatten, selbst als sich die Sache aufgeklärt hat …
Richard Strauss hat nicht nur aus seinem Eheleben erzählt (und das Libretto selbst verfaßt), er bediente sich auch hier und da seiner Kompositionen, ließ manches wieder einfließen. Axel Ranisch und sein Team (Bühne: Saskia Wunsch, Kostüme: Alfred Mayerhofer) haben dies aufgegriffen und das Pasticcio noch um manche Ingredienz ergänzt. Das würzen hat ihnen offenbar Spaß gemacht, und so bleiben – wie auf dem Premierenplakat – die Rosen quasi frisch, während die Vase zerbrochen ist. Will heißen: Christine tobt und zürnt, Robert ist albern und verständnisvoll, vor allem aber haben Richard Strauss und Axel Ranisch vielleicht erahnt, wie sich Pauline alias Christine gefühlt haben mag und es gewagt, den eigenen Standpunkt in Frage zu stellen.

Das vermitteln Erik Brünner und Katharina Pittelkow, die Richard und Pauline spielend am ganzen Abend teilnehmen. Erst per Videoeinblendung aus der Theaterloge, dann mit Dialogen auf der Bühne und konsequenterweise zum Gaudi des Publikums in der Pause noch im Foyer (wo sie Richard Wagners Büste links stehenlassen). Anschließend fragt Richard gar in den Saal hinein, ob man abbrechen solle (Pauline ist in Fahrt und erbost). Das Publikum bekommt neben dem eigentlichen Stück also auch die Reaktionen und Diskussionen im Hause Strauss vorgespielt – wie es hätte sein können.
Das fröhliche Pasticcio geht aber noch weiter, denn Saskia Wunsch hat eine schon geniale Bühnenumgebung geschaffen. (Im elbseitigen Vestibül erzählt eine Graphic Novel von Joonas Sildre übrigens passend den Hintergrund zur Geschichte.) Das Dekor des Jugendstils bremst sie etwas aus, indem er nicht original bunt ist, sondern vor allem schwarz-weiß, in Scherenschnitten und Silhouetten. Die luftige Ausstattung läßt Bewegung und Kombinationen auf der Bühne zu, ohne daß die Szene verdeckt wird. Videos mit fingierten Rück- und Seitenblicken oder Traumsequenzen ergänzen dies. Und plötzlich wird aus der Semperoper, in deren Foyers einige Szenen gedreht sind (unter Beachtung der Richard-Strauss-Büste), beim Öffnen der Terrassentür die »Villa Strauss« …
Für Farbe im Schwarz-weiß sorgt Maria Bengtsson als Christine. Sie ist in einer amüsanten, manchmal nervigen Daueraufregung, läßt ihren Sopran girren und jubeln, mischt ihm fauchige Untertöne bei, weiß aber auch zu bezirzen und charmant zu umgarnen. Nein, Pauline – Pardon! – Christine hat keine negative Rolle, sie ist durchaus liebenswert! Richard Strauss gab ja offen zu, daß die Schuld bei ihm lag, weil er Pauline zu oft alleinließ, sie vernachlässigte. Axel Ranisch unterstreicht dies noch mit dem Lied »Cäcilie« (»Wenn du es wüßtest, was träumen heißt von brennenden Küssen …«), das Maria Bengtsson mit Patrick Hahn am Klavier vorab auf der Bühne geben – ist Paulines, ergo Christines Zorn eine Art Gattenentzugserscheinung?

Was den »Fall Mieze« betrifft, ist Robert zwar unschuldig, aber Axel Ranisch schickt ihm trotzdem alle Frauen auf den Hals, mit denen sich Richard Strauss in seinen Opern »herumgetrieben« hat: Freihild, Salome, Elektra, Marschallin, Helena, Arabella, Danae. Daß einige von ihnen zum Zeitpunkt von »Intermezzo« noch gar nicht geschrieben waren, darf im Pasticcio passieren, Axel Ranisch ist weder Chronist oder Historiker.
Für das Musikalische sorgt die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung des jungen Österreichers Patrick Hahn (nun im Graben), der das Amüsement flott, aber schlank anpackt, die Holzbläser im Parlando quasi in die Szene schickt, die sich oben in der Villa Strauss entwickelt. Die Umbaumusiken, zu denen es auf der Bühne immer etwas zu sehen gibt (Video), greifen nicht nur das eine oder andere Zitat auf, sie werden geradezu bacchantisch, orgastisch, wild – nicht nur die Geduld im Hause Storch, auch die Schlankheit des Orchesterklangs darf begrenzt sein. Die Kapelle klingt süffig, trotzdem klar und melodiös.
So bleibt, sich zu freuen, daß die vielen Extrafiguren nicht stören, sondern sinnig ins Spiel eingebunden sind. Christoph Pohl alias Robert Storch tritt nobel auf: alt genug, als Hofkapellmeister hochgehrte zu sein, noch ausreichend jung, um eine »Affaire« unterstellt zu bekommen. Und um sich letztlich doch aufzuregen: Lange wahrte Robert die Contenance, irgendwann ist’s aus (aber nur vorübergehend). Christoph Pohl gelingt es, nicht nur wohltönend zu erscheinen, sondern die Balance des Ehegatten zu treffen – unschuldig angegriffen, und doch sich einer Schuld bewußt.
James Ley ist Baron Lummer, Christine vorübergehender Gespiel – fesch, aber letztlich ungefährlich. Daß man den Vorwurf des Ehebruchs eigentlich hätte umdrehen können, steht im Raum, aber wirklich ausspielen mag diese Karte keiner.
Da sorgen die Bediensteten im Hause Strauss (Storch) eher für Pointen, bis zur sächselnden Köchin (Frauke Wilke). Nur der kleine Franzl (Leander Wilde) ist ehrlich involviert und ergreift Partei für den Papa. Neben Jürgen Müller, der die Rolle des unglückseligen Kapellmeisters, der die Mieze wirklich kennt, spielt, bekommt Ute Selbig als Kammerjungfer Anna und gute Seele des Hauses, mit Lebens- und Eheerfahrung bei den Storchs gerüstet, einen verdienten Publikumsbonus.
2. November 2024, Wolfram Quellmalz

Tausendsassa Axel Ranisch ist als Sänger und Sprecher in »VolkseigenTon« mit Ragna Schirmer (Klavier) und Mathias Daneck (Schlagwerke) zu erleben. Das Trio interpretiert Werke von Paul Dessau, Erika Schirmer, Hanns Eisler, Hans Naumilkat, Siegfried Thiele, Wilfried Krätzschmar und anderen. Auf zwei CDs bei Berlin Classics oder im kommenden Jahr in Dresden (14. Februar, Semper Bar) sowie in der Kulturhauptstadt Chemnitz (voraussichtlich 28. Mai, Villa Esche).
Richard Strauss »Intermezzo«, Semperoper Dresden, heute wieder sowie am 21. und 24. November und zweimal im Dezember