Sächsische Staatskapelle ist in allen Zeitaltern zu Hause
Das Buch »Finnegans Wake« (»Finnegans Erwachen«) von James Joyce enthält keinem linearen Erzählstrang, manche sprechen ihm überhaupt eine Handlung ab. Doch es enthält zahlreiche miteinander verknüpfte Geschichten und Fragmente. Das Werk hatte den Komponisten John Cage sehr beeindruckt, der sich immer wieder damit beschäftigte, unter anderem fünf lautpoetische Texte für »Performances« schrieb. Ein Zitat daraus (»Soft morning city! Lsp!« / »Sanfte Stadt am Morgen! Lsp!«) stellte er einem seiner berühmtesten Werke, ASLAP (»As slow as possible« / »So langsam wie möglich«) bei.

Es war sicherlich ein Zufall, daß der Dirigent des Aufführungsabends der Sächsischen Staatskapelle am Dienstag, Finnegan Downie Dear, den Namen aus Joyces Buch trägt. Er fand und findet einen wesentlichen Impuls und eine beständige Anregung in den Variationen für Orchester Opus 30 von Anton Webern. Auch dieses Werk hat keinen kohärenten Erzählstrom, doch es arbeitet mit einem Motiv, das Zerlegt und im Orchester neu zusammengesetzt wird. Das kurze, schwer faßbare Stück (dennoch leichter als Cage) erklang im Aufführungsabend gleich zweimal – Finnegan Downie Dear erklärte nach dem ersten Durchlauf, weshalb der gerade dieses Werk so schätze: wegen seiner Harmonik, der Feinheit sei es einzigartig in der Musik des 20. Jahrhunderts und spiele mit der Form existentieller Fragen und Antworten. Die anschließende Wiederholung konnte tatsächlich manches von dem illustrieren, was der Dirigent eben erklärt hatte. Die Sächsische Staatskapelle hatte nicht nur die Feinheit sehr exakt getroffen, sondern ebenso die Impulshaftigkeit, mit der Akkorde weitergegeben werden bzw. das Motiv, anfangs in der Violine (Yuki Manuela Janke) erkennbar, aufgefächert wird. Dieser Kontrast bzw. die Reflexe, die zwischen einzelnen Bläsern oder zwischen Bläsern und Streichern aufflackerten, sich in der Celesta sammelten, dem Werk fast einen Serenadencharakter verliehen, war beeindruckend, selbst wenn nicht jeder der Besucher in der Semperoper das Stück danach auf seine Lieblingswerkeliste setzt wie Finnegan Downie Dear.

Weber hatte seine Variationen 1940 verfaßt, dreizehn Jahre später entstand das Trompetenkonzert Opus 23 des im vergangenen Jahr verstorbenen Siegfried Kurz. Es gehört unter den Werken in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts – ungewöhnlich für die Zeit und vor allem einen DDR-Komponisten – nicht nur eines der beliebten, es hat zudem einen hohen Wiedererkennungswert. Die Sächsische Staatskapelle hat es nicht nur uraufgeführt, sondern immer wieder gespeilt. Sven Barnkoth gehört seit 2005 zum Orchester (Stellvertretender Solo-Trompeter) und hatte sichtlich Lust und Laune, die virtuosen wie die kantablen Passagen zu meistern. Dabei lag ihm wohl besonders der Klang am Herzen, denn die Formung desselben geriet sehr weich und geschmeidig noch in den fanfarenähnlichen Teilen.
Die Kapelle, nun in Streicherbesetzung, nahm gerade den Faden der Geschmeidigkeit auf. Siegfried Kurz läßt sie oft der Trompete folgen und deren Thema weiterspinnen, statt krasse Gegensätze zu schaffen (wie Schostakowitsch zur gleichen Zeit). Hinzu kommt, daß der Komponist die gefällige Musik rhythmisch angeregt unterlegt hatte, sich dem Jazz näherte und schließlich, nachdem der dritte Satz sehr lebhaft (Satzbezeichnung) ausgefallen war, vor einem leicht pathetischen (aber geschmackvollen) Ausklang nicht zurückgeschreckt war. Die Synthese von Solist und Orchester, von Melodie und Struktur, war vollends gelungen!

Nach so viel (immer noch) moderner Musik war der Rückgriff auf Schubert dennoch kein Zugeständnis, kein »süßes Zuckerl«, selbst wenn die Sinfonie B-Dur (Nr. 5 / D 485) durchaus »süß« begann. Tremolierend und mit mildem Glanz der Holzbläser kam der 19jährige Schubert hier Mozart nahe, legt man den Gestus von Verspieltheit, Motivdurchwirkung und Takt bzw. Vitalität zugrunde.
Das Wechselspiel von Bläsern und Streichern, wurde nicht nur durch zwei Hörner bereichert, die beiden Fagotte sorgten im Andante für eine angenehm und spannend dunkle Schattierung. Mit dem Menuetto hatte Schubert eine traditionelle Sinfoniesatzform aufgegriffen, ihr aber teilweise eine Chromatik einverleibt, die teilweise schon auf Schumann vorauswies. Auf jeden Fall lebte diese Aufführung von der inneren Dramatik – ein Tanz war dieses Menuett nicht mehr! Dies setzte sich mit dem Allegro vivace fort, das nicht allein jugendlich-stürmisch durch die Semperoper fegte. Die Staatskapelle unterlegte den Elan durchaus mit feinen und sanften Orchesterfarben.
8. November 2024, Wolfram Quellmalz