Dresdner Bachchor mit Johannes Brahms‘ Deutschem Requiem
Johannes Brahms beschritt mit seinem Deutschen Requiem einen völlig neuen Weg – das Werk blieb in seiner Form bis heute ein Solitär. Nicht nur hat er es auf Deutsch statt Latein verfaßt, Brahms löste sich zudem von der bis dato gültigen Form und liturgischen Satzfolge von Kyrie bis Lux aeterna, an das sich (mit Abwandlungen) die Komponisten meist gehalten hatten. So wurde aus der Messe für die Toten ein Werk für die Trauernden – immer wieder stehen sich bei Brahms Trauer und (kraftvolle) Hoffnung in kontrastierenden Farben gegenüber. Und nicht nur das: der ganze Verlauf ist verändert – statt einer festgelegten Liturgie folgt das Werk einem erzählenden Voranschreiten, verweilt aber ebenso. Und es verbindet den Anfang (»Selig sind, die Leid tragen«) mit dem Ende (»Selig sind die Toten«) – eine Klammer, die Brahms auch musikalisch gefaßt hat. Man vergleiche: Wenn das Deutsche Requiem anklingt, zitiert wird, ist es oft der Beginn des zweiten Teils (»Denn alles Fleisch, es ist wie Gras«). Denn hier hat der Komponist ein Anfangsmotiv gesetzt, hier beginnt das musikalische Voranschreiten.

Ob nun solche Gedanken zum Werk, Gedanken an verstorben Menschen oder einfach als Festkonzert zum Buß- und Bettag – am Mittwoch konnte man Brahms‘ erstaunliche Komposition mit dem Dresdner Bachchor in der Martin-Luther-Kirche auf zugängliche Weise erfahren. Denn den Kraftakt, der hinter den Proben und der Aufführung für den Chor sicher gesteckt hat, spürte man nicht, dafür aber bewies Kantorin Elke Voigt erneut ein Händchen für Gestaltung, für das Herausstellen solcher Kontraste wie genannt ebenso wie für Verläufe.
Die »Farbwechsel« kennzeichneten schon den ersten Teil, der in wechselnden Zeilen Trauer (»Selig«) und Hoffnung (»Die mit Tränen säen«) enthielt. Trotz der Kontraste überwog nicht das Gegenüber, sondern das Miteinander der beiden Pole, die sich bedingen, der Text blieb verbunden.
Mit »Denn alles Fleisch …« zeigte der Bachchor eine andere gestalterische Qualität, als er zunächst leise, mit dem Orchester (Elbland Philharmonie Sachsen) verbunden war, als sei er selbst eine Orchesterstimme, im Verlauf aber deutlich hervortrat, der Text quasi über der Musik stand, bis zu einem eindrucksvollen Tutti. Der sorgsame Aufbau des Schlußtuttis gelang Elke Voigt noch mehrfach, wie im »Herr, lehre mich«.
Während die Projekte des Dresdner Bachchores sonst oft von der Sinfonietta Dresden begleitet werden, war mit der Elbland Philharmonie Sachsen diesmal ein anderes Orchester dabei. Ihm gelang eine geschlossene, romantische Deutung im Klang, aber auch Soli bis zur Konzertmeisterin oder Harfe fügten sich ein – es sind keine ausgedehnten Passagen, sondern meist kleine musikalische Unterstriche, die etwas hervorheben oder ausklingen lassen. Chor und Orchester bildeten in diesem Sinne eine gestalterische Einheit.
Baßbariton Clemens Heidrich war schon oft in der Martin-Luther-Kirche dabei und führte sein Solo (»Herr, lehre doch mich«) souverän aus. Dem romantischen Klang verlieh er Tragweite und eine milde Kraft, also »belastbar«, aber ohne andere Stimmen zu übertreffen. Gerade das Gegenüber der dritten Strophe mit dem Chor war ausgewogen. Sopranistin Marie Hänsel füllte den fünften Teil (»Ihr habt nun Traurigkeit«) mit großer gestalterischen Geste aus. Im Forcieren für den großen Raum nutzte sie ein recht starkes Vibrato, das wäre vielleicht gar nicht nötig gewesen – die Pianopassagen, nun mit schlichterer Stimmführung, blieben präsent, gut verständlich und berührend.
Hinsichtlich der Verständlichkeit überzeugte auch der Chor. Wer sich von Gedanken, solchen oder solchen, ablenken ließ, fand sich schnell wieder zurück ins Werk. Und das nicht nur wegen dessen kontemplativer Wirkung, sondern wegen des leichten Wiederfindens im Text durch den Chor. Dessen emotionale und stimmungsvolle Facetten schlossen ein mildes Piano ein, das für »Wie lieblich sind deine Wohnungen« einen passend lieblichen Ton fand.
Unmittelbar nach dem Deutschen Requiem beginnt der Dresdner Bachchor, seine jährliche Aufführung des Weihnachtsoratoriums einzustudieren. Am 14. Dezember stehen die Kantaten I bis III, am 5. Januar die Kantaten IV bis VI auf dem Programm (jeweils Martin-Luther-Kirche).
21. November 2024, Wolfram Quellmalz
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