Leonkoro Quartett reizt Werke differenziert aus
Im letzten Konzert der zum Moritzburg Festival gehörenden Meisterwerke-Reihe für 2024 war am Mittwoch das Leonkoro Quartett Gast auf Schloß Albrechtsberg. Wenn neue (Streich)quartette in Erscheinung treten, wird ihre Jugend oft mit einer besonderen Frische gleichgesetzt. Energetische Interpretationen und nach dem letzten Takt hochgerissene Bögen sind typische Merkmale. Doch auch wenn viele der Jungen auf diese Weise mitreißen, hört man spätestens beim dritten Konzert tiefer – bleibt dann mehr als Energie oder verblaßt der Effekt des Jugendsturmes?
Beim Leonkoro Quartett darf man nach dem ersten Besuch bereits feststellen, daß sie das Energieattribut gerade nicht herauskehren. Die Brüder Jonathan (Violine) und Lukas Schwarz (Violoncello) sowie ihre beiden Mitstreiterinnen Amelie Wallner (Violine 2) und Mayu Konoe (Viola) waren im Gegenteil auf eine äußerst differenzierte, oft grazile Spielweise aus, hatten noch am Nachmittag mehrere Stunden lang im Kronensaal geprobt. Wohlgemerkt: das Quartett ist auf einer Gastspielreise, war am nächsten Tag gleich im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, danach in Kempen, am Sonntag in Odenthal – an Spielpraxis fehlt es ihnen wohl kaum.
Wer sich der Quartettliteratur so bewußt zuwendet, hat etwas beizutragen. Und darf mit Mozart beginnen. Das Streichquartett F-Dur (KV 590) mag eines der beliebtesten sein, am Mittwoch konnte man es jedoch »unbelastet« hören, also unabhängig vom bisherigen Erfolg und dem Grund der Beliebtheit. Und damit neu hören, denn Leonkoro liefert nicht ein vereinbartes Servicepaket aus und spult keine Noten ab, es ließ die Stimmen zart anheben, bald Verve entwickeln. Diese Verve war nicht allein energiegetrieben, sondern resultierte aus einer ausgefeilten Dynamik. So folgte sich aus dem gemächlich schreitenden Andante eine Dramatik, die einem Schubert gefallen hätte. Wolfgang Amadé, der gern getanzt haben soll, skizzierte im Menuett zwei Themen (Tänzer) mit heiterem Lerchenmotiv und bäriger Antwort. Und noch im scheinbaren Rondeau des Finales fanden die vier Leonkoros neben den luftigen Rokoko Mozarts und den galanten Bezügen subtile Bogenstriche und Raffinesse – vielleicht liegt in dieser Fähigkeit zur Subtilität einer der größten Vorzüge dieses Quartetts?
In Paul Hindemiths zweitem Streichquartett (f-Moll, Opus 10) spielten sie ebenso aus. Vor allem aber wurde deutlich, daß dieses Werk von Mozart nicht nur durch Jahre und Musikepochen getrennt ist, sondern hier zwei höchst unterschiedliche Individualitäten wahrgenommen werden konnten. Auf Mozarts raffinierte Formenvielfalt folgte eine teils untergründige Emotionalität. Umschwünge – ja, auch mitreißende – kennzeichneten die Interpretation, wie das Quartett flüchtige, brüchige Klanglagen auslotete. Den Quattro-Dialog hatte Hindemith hier und da scheinbar unterbrochen, als fehlte auf die eine oder andere Phrase eine Antwort. Dafür präsentierte das Werk Figuren, teils in bunter Vielfalt und Lebhaftigkeit, als führe es »Karussell« oder spiele Schattenspiele. Die Variationen des zweiten Satzes reichten vom ruhigen Fließen bis zu einem impulshaften Quartettutti.

In Hindemiths Finale lag vielleicht der größte Reiz. Beinahe schon rasant (aber weiterhin ohne Überbetonung der Energie) tobten die vier los, ließen Jonathan Schwarz und Amelie Wallner die Erzählerstimmen ihrer Instrumente nacheinander hervortreten – fabelhaft!
Wer so angeregt durch die Quartettliteratur forscht, der stöbert zwischen Mendelssohns berühmten Elfen auch ein paar Kobolde auf. In Felix‘ Quartett e-Moll (Opus 44 Nr. 2) versteckten sich weit mehr als nur die Ansätze oder Ähnlichkeiten zu seinem Violinkonzert der gleichen Tonart. Schon am Beginn des höchst gesanglichen Allegro assai appassionato sorgte Lukas Schwarz mit bis in die Saalluft spürbar vibrierendem Tremolo für eine untergründig betonte Baßfärbung. Die gediegene Viola von Mayu Konoe zeigte, wie kantabel das Instrument sein kann.
Die Differenziertheit bewahrte sich das Leonkoro Quartett, zielte mit Hervortreten oder Ausbrüchen nicht auf den Effekt, sondern stattete Gegenstimmen aus oder schloß sie mit den übrigen Streichern ein. Damit entfachten sie noch im Presto agitato ein kleines anregendes Drama – von wegen »Elfen«!
Als Zugabe präsentierte das Leonkoro Quartett, quasi jahreszeitlich passend, den Satz »Crisantemi« (Chrysanthemen) – Puccinis solitären Beitrag zur Gattung.
12. Dezember 2024, Wolfram Quellmalz
Im kommenden Jahr stehen Duos im Mittelpunkt der Meisterkonzerte. Als erste spielen Mira Wang und Ulrich Eichenauer am 20. März Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadé Mozart und Bohuslav Martinů https://www.moritzburgfestival.de