Letzte Kreuzchorvesper war in jeder Hinsicht umfassend
Viele Jahre hatte in der Kreuzchorvesper zu Silvester – auf den Sonntag nach Neujahr gerichtet – Kantate V aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium im Zentrum des Programms der Dresdner Kreuzkirche gestanden. Für das zu Ende gegangene Jahr hatte Kreuzkantor Martin Lehmann ein anderes Programm entworfen, das sich als äußerst stimmig und im positiven Sinne zeitgemäß erwies.
Das Begann schon mit dem Einzug, dem Kreuzorganist Holger Gehring den Gestus »Von guten Mächten« an der Jehmlich-Orgel verlieh, der bereits eine wachsende Menge Licht oder Kraft zu enthalten schien – das blieb kennzeichnend für die gesamte Vesper. Das erste Chorstück war ein kurzer Rückblick bzw. eine Rückbesinnung auf die jüngere Saat: Mit den Introitus von Wilfried Krätzschmar hatte vor drei Jahren die Reihe der Auftragskompositionen zu jedem Sonn- und Feiertag des Kirchenjahres begonnen. »Für den Altjahresabend« erklang mit der nun schon gewohnten ungleichen Chorteilung sowie Tenorsolo wieder. Von »Der Herr behüte deinen Ausgang« bis zu »Lob und Preis« stand der Introitus durch seinen innigen Charakter für eine alle umschließende musikalische Geste.
Max Reger tritt in seinen Werken von expressiver Romantik bis zu schlichten Bearbeitungen sehr unterschiedlich auf. »Das alte Jahr vergangen ist« (aus Zwölf deutsche geistliche Gesänge) erwies sich mit seinem Choralcharakter als ganz besonders eingängig, weil nahbare. Die beiden ersten Werke hatte übrigens Sebastian Herrmann, der seit 1. Oktober neuer Chordirigent des Kreuzchores ist, geleitet.
Als Kantatenwerk hatte Martin Lehmann, der nun selbst übernahm, Johann Sebastian Bachs »Wir danken dir, Gott, wir danken dir« (BWV 29) ausgewählt. Eine geistliche Kantate, die jedoch zur Leipziger Ratswahl entstanden war und somit weltliche Macht und geistliche Gedanken vereint. Sie beginnt mit einer festlichen, von Trompeten geschmückten Sinfonia, die nicht zuletzt mit ihrer feingliedrigen Orgelbegleitung (Continuoorgel: Lukas Pohle), die in der lebendigen Wiedergabe durch die sinfonietta dresden ein wenig an Händels Concerti erinnerte. Effektvoll ließ Bach den festlichen Glanz aber nicht überschießen, sondern brachte ihn mit dem ersten Chor (»Wir danken dir, Gott«) zur Besinnung, wie die ganze Kantate mit Gotteslob den damaligen Rat wohl an seine Verantwortung und Aufgabe erinnerte bzw. diese ins Verhältnis gesetzt haben mag. Der Kreuzchor fand in diesem Coro bereits einen Punkt der Ruhe und Kontemplation. Von Instrumenten der sinfonietta begleitet (vor allem Violine und Oboe, Basso continuo in Violoncello und Orgel) sorgten die Sängersolisten für eine ausdrucksstarke Verbindung von »Halleluja, Stärke und Macht« (Tenor: Jonas Finger), während die Sopran-Arie »Gedenk an uns mit deiner Liebe« (Marie Hänsel) von Brillanz geprägt war. Baß Cornelius Uhle hatte dazwischen gezeigt, daß man ein Rezitativ (»Gottlob! Es geht uns wohl!«) nicht nur melodiös anreichern, sondern diese Melodiösität noch bis in die Tiefe bewahren kann. Jonathan Mayenschein (Altus) beeindruckte mit seiner zwar kraftvollen Stimme, die aber dem Rezitativ »Vergiß es ferner nicht« eine umspannende Milde ließ. Zudem stand ihm als Coro das Trio der übrigen Solisten ausgeglichen gegenüber, was noch einmal die Stimmigkeit des Quartetts hervorhob. Das Umfassende, Umschließende zeigte sich noch im Choral, den Kreuzchor und Solisten gemeinsam sangen.
Die inneren Bezüge hielten an, denn Holger Milkau nahm in seinem Wort zum Jahreswechsel Bachs Text »Gottlob! Es geht uns wohl!« auf und stellte eine Brücke zwischen historischem Anlaß und unserer Zeit her. Unser Wohlstand und Wohlergehen – gerade im Vergleich mit anderen Ländern – solle nicht nur unberücksichtigt bleiben, sondern nicht erst bei bevorstehenden Aufgaben (wie Wahlen) als Grund zur Mitmachen und Mitdenken verstanden werden. Auch dürfe man Krisen nicht mit einem Weltuntergang gleichsetzen.
Holger Gehring hatte nach dem Gemeindegesang (EG 58 »Nun laßt uns gehen und treten«) die Choralphantasie »Gelobet seist du, Jesu Christ« von Dieterich Buxtehude (BuxWV 188) eingefügt, ein Werk, das sich zunächst in Ruhe entfaltete und variierte, dann öffnete, bevor es eine Art Zusammenfassung präsentierte, die jedoch nicht Schluß- sondern Ausgangspunkt war für den freiesten Abschnitt der Phantasie, den Holger Gehring mit Einsatz des Zimbelsterns noch betonte.
Die letzten beiden Punkte des Zusammenschlusses und der Umarmung kamen erneut vom Dresdner Kreuzchor. Bach hatte den Eingangschor von BWV 29 (1731 geschrieben) später noch umgearbeitet und für seine h-Moll-Messe verwendet. Diese Neufassung kam mit dem Dona nobis pacem aus jener Messe (BWV 232) noch einmal zum Klingen und brachte den wohl wichtigsten Neujahrswunsch auf den Weg, welcher durch Georg Friedrich Händels »Hallelujah« (aus Messiah HWV 56), wiewohl ursprünglich kein rein sakrales Oratorium, bekräftigt wurde.
1. Januar 2025, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Sonnabend, 17:00 Uhr, gestaltet die Capella Sanctae Crucis Dresden die Kreuzvesper zu Epiphanias unter anderem mit Georg Philipp Telemanns Kantate »Stern aus Jakob, Licht der Heiden« (TWV 1:1398). https://kreuzkirche-dresden.de/veranstaltungskalender/
