Silvesterkonzert der Dresdner Philharmonie
Dirigent Sir Donald Runnicles fand eine gewitzte Alternative zu Beethovens Neunter und bunten Unterhaltungsprogrammen. Ebenso zum Jahresabschluß wie als guten Wunsch stellte er im Silvesterkonzert der Dresdner Philharmonie englische und Wiener Kompositionen gegenüber. Dabei waren die scheinbar kleinen Mitbringsel aus seiner Heimat teilweise sogar größer als gedacht.
Edward Elgars »Cockaigne Overture« zumindest entsprach, einem bunten Überraschungsstück, verband typisch britische »Zuckerstückchen« und lebhaften Trubel, den der Dirigent aber im Tuttischwung gebunden hielt, so daß nichts »zerkrümeln« konnte. Der im Stück verankerte Spaziergang (bzw. sein initiale Funke) hatte Edward Elgar farbenfroh angereichert und kombiniert, ließ aber die Solisten wenig einzeln hervortreten, sondern sorgte meist für einen stimmungsvollen Mischklang. Erst gegen Ende durften sich gerade Trompeten und schließlich auch die Orgel (Palastorganist Olivier Latry, der später am Abend noch das Konzert zum Jahreswechsel bestritt) pathetisch erheben. Dabei bewahrte Sir Donald Runnicles dem Stück aber einen eleganten Schwung bis ins Schlagwerk.

War die Erstaufführung der »Cockaigne Overture« an diesem Abend noch wegen der Eigenheit oder Exklusivität des Stückes nachvollziehbar, überraschte den Rezensenten der Programmhefthinweis, wonach »The lark ascending« von Ralph Vaughan Williams bisher nur ein einziges Mal mit den Philharmonikern erklungen ist. Gehört die »aufsteigende Lerche« doch zu den schönsten Gattungsbeiträgen überhaupt und war in Dresden mit anderen Orchestern bereits mehrfach zu hören. Hier hatte also ein dringender Nachholbedarf bestanden, und die superbe Wiedergabe mit Maria Ioudenitch (Violine), Sir Donald Runnicles und der Dresdner Philharmonie dürfte die Wiederholung hoffentlich nicht in weite Ferne schieben.
Die junge Violinistin ließ die titelgebende Lerche aus feinstem Piano heranschweben, ein Piano, welches das Orchester ihr in gleicher Weise wiedergab und den Gesang mit scheinbar stehendem Hall umschloß, mit schönem Horn abgerundet. Maria Ioudenitch bewahrte eine Gesanglichkeit noch in zweistimmigen Passagen, vor allem aber in den frei schwebenden Kadenzen, was sie nicht hinderte, ihre Violine (bzw. Lerche) einmal »zwitschern« zu lassen. Doch wie schön, daß die ungeheure Eleganz dieses Stückes bei Solistin und Orchester gleichermaßen zu finden war!
Da hatte es Beethoven direkt ein wenig schwer – oder war die Reihenfolge unglücklich? An der Majestät der Romanze G-Dur gibt es schließlich nichts rütteln. Und daß Beethoven nicht nur mehr Struktur hat als der atmosphärische Vaughan Williams hatte, sondern das rhythmische Prinzip deutlich hervortrat, war ja kein Makel. Dennoch merkte man deutlich den Sprung zurück in der Zeit, und in dieser Hinsicht war »The lark ascending« dann doch deutlich reizvoller als die Romanze als quasi geplante Zugabe. Die Interpretation Maria Ioudenitchs war ohne Tadel, erinnerte in manchen Passagen mit zwei gestrichenen Saiten gar an Bach als »Ursprungsort«.
Nach der Pause verabschiedete Intendantin Frauke Roth zunächst das langjährige Orchestermitglied Rainer Promnitz, einen »Musiker durch und durch«, der seit 1980 zur Cellogruppe gehört hatte, in den Ruhestand. Es war sein letzter Konzerteinsatz, in der Zukunft wird sein Name dennoch in den Programmen erscheinen, wenn Stücke von Rainer Promnitz gespielt werden.

Den Jahresabschluß, zumindest von philharmonischer Seite, setzte Ludwig van Beethovens Eroica. Fast so ungestüm oder heroisch, wie Sir Donald Runnicles ans Pult getreten war, legte er mit der dritten Sinfonie los, differenzierte aber gleich von Beginn gekonnt zwischen Rhythmik und Kantabilität. Das betonte nicht nur die treibende Kraft, die dem Stück innewohnt, es sorgte auch dafür, die Spannung zu halten, etwa im ersten Satz, wenn die Töne abzugleiten scheinen, Beethoven die Tonarten moduliert. Der Trauermarsch des zweiten Satzes schien dennoch etwas in die Länge gezogen und pathetisch, bevor er mit Paukenschlägen und Allegro-Charakter neue Hoffnung schenkte.
Von hier wurde der herzhaft-heroische Charakter sogar freudig, munter, vor allem in der Klarinette von Fabian Dirr und der Oboe von Johannes Pfeiffer. Der erfrischende strukturelle Rahmen, sprich die Rhythmik, hielt die Spannung bis zum Schluß. Nachdem auch Sir Donald Runnicles Rainer Promnitz mit einem Handschlag persönlich verabschiedet hatte, gab es – noch ein wenig »Schlagobers« – den Radetzky-Marsch. Trotz Extradirigats muß das Dresdner Publikum hier wohl noch etwas üben, um mit den in dieser Hinsicht routinierten Wienern gleichzuziehen – kann ja alles noch werden!
1. Januar 2025, Wolfram Quellmalz