Zurück zur Natur?

Angebot der Staatskapelle lockt viel Publikum und ist eine Aufbesserung wert

Sonderkonzerte der Sächsischen Staatskapelle im Dresdner Kulturpalast gehören schon kurz seit Wiedereröffnung des neuen Konzertsaales dazu. Mozart, Strauss und Schostakowitsch galten bisher als Schwerpunkte, am Donnerstag nutzte die Kapelle die Gelegenheit für ein Familienkonzert »Natur pur!«, vom neuen Chefdirigenten Daniele Gatti geleitet. Mahler und Beethoven zum kleinen Einstiegspreis – allerdings nicht für die ganz Kleinen, immerhin ab 13 (und bis 99), so der Konzertveranstalter, legte die »Latte« höher als nur auf reines Anfängerniveau. Das sollte für die Werke wie die Moderation gleichermaßen gelten. In bezug auf die ersteren standen sechs der Wunderhorn-Lieder Gustav Mahlers und eine Beethoven-Sinfonie auf dem Programm, für das zweitere sorgte Kapellmitglied Julius Rönnebeck in Moderation und Gespräch.

Markus Werba und Daniele Gatti, Sächsische Staatskapelle Dresden, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Am löblichen Konzept darf man gerne noch einmal nacharbeiten. Immerhin blieben die grellsten Farben des Saallichtes ausgeschaltet, die Flut an pastellenem Altrosa, Lindgrün und Gewittergrau sorgte dennoch für etwas Über-Kolorit. Mit Julius Rönnebecks Herleitung, was ein »Wunderhorn« eigentlich sei, war aber ein guter Einstieg gegeben. Der Hornist hatte ein eigenes »Wunderhorn« aus einem Gartenschlauch fabriziert und spielte darauf erkennbar Beethovens Schlußmotiv – wenn dieses wieder erklinge, sei das Konzert vorbei. Das »Wunderhorn« meinte aber eher ein »Füllhorn«, eine sprudelnde Überfülle, hatte Sänger Markus Werba erklärt.

Man hätte den Anspruch wohl höherlegen sollen. Schon bei den Moderationen: Da ist es der Staatskapelle gelungen, in ihren Kammerabenden mit einem freundlichen Hinweis zwei völlig verschiedene Publikumsschichten dahingehend zu vereinen, daß zwischen den Sätzen nicht mehr applaudiert wird, und dann führen die Erklärungen im Familienkonzert gerade dazu, solchen Beifall auszulösen. Ein Besucherpaar, das bei der Ankündigung Staatskapelle-Mahler-Beethoven wohl nicht mit so etwas gerechnet hatte, verließ verärgert den Saal. Leider blieben die Moderationen gerade bei Beethoven arg nah an dem, was an Natur nun gleich zu hören sein würde, trotz dessen Offensichtlichkeit. Oder anders gesagt: Muß man einem Cafégast, der sich ein Stück Zitronentorte bestellt hat, noch darauf hinweisen, daß das jetzt gleich nach Zitrone schmecken werde?

Lindgrünes Naturidyll?, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Wären solche Gesprächsgelegenheiten mit einem Daniele Gatti nicht wertvoller für dessen persönliche Sicht, die mehr als Wikipedia verrät? Die Erfahrung zeigt, daß der Blick in die Partitur, den der normale Konzertbesucher ja nicht hat, deutlich anderes offenbaren kann, als sich beim alleinigen Hören bemerken läßt.

Abenddämmerung oder Donnergrollen?, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Warum nicht direkt fragen, was Gatti so an Mahler fasziniert? Denn mit sechs der Lieder aus »Des Knaben Wunderhorn« und Markus Werba hatte der Abend begonnen. Der Bariton erwies sich in Mahlers schwieriger Orchestrierung durchaus als standfest und verständlich, was schon einmal gute Voraussetzungen sind, wenn im Publikum viele Ersthörer sitzen. Auch gelang es ihm, den immer wieder versteckten Witz der Texte (unter anderem »Verlorne Müh’«, »Rheinlegendchen« und »Lob des hohen Verstandes«) aufblitzen zu lassen. Freilich hätte ein durchgängiges Hören (oder zumindest als zwei-mal-drei-Pakete) wohl einen vertiefteren Eindruck erlaubt.

Beethoven hätte ihn dringend gebraucht, denn statt einer Sinfonie erklangen nun einzelne Naturbilder am Rande der Überillustration – die heute üblichen Satzüberschriften wie »Szene am Bach« hätte man durchaus hinterfragen (ist diese Art Vorprägung der Erwartungshaltung dem Hören nicht abträglich?), dafür aber die enge Bindung an die fünfte Sinfonie aufdecken können.

Die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden hatten im Rahmen der Schulkonzerte nicht nur die Türen für Schüler zur Generalprobe geöffnet, sondern begrüßten das Publikum an vielen Orten im Kulturpalast auf dem Weg zum Konzertsaal mit Ausschnitten der Musik, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Natürlich beherrscht die Kapelle ihren Beethoven aus dem »Effeff«. Weniger Farbe hätte da genügt, denn dem Komponisten ist es ja durchaus gelungen, eine Empfindung in seine Musik zu legen. So wie ein erholsamer Naturspaziergang oder, wie Daniele Gatti spontan auf ein nerviges Handyklingeln reagierend sagte, wenn man das Mobiltelephon einmal ausstellt. Wem es gelang, hier die Geschlossenheit in sich zu wahren, der konnte mehr als nur einzelne Vogelstimmen oder muntere Wellen erlauschen, sondern sich an der Formung ergötzen, mit der diese Szenen geschaffen wurden und ineinander übergingen, wie mit dem Holzbläsern, deren dynamische Wechsel den dritten Satz auffrischten.

Dem einhelligen Jubel nach dem abschließenden Hornmotiv nach ist das Format aber angekommen und wäre es sicher wert, noch ein wenig aufgebessert zu werden.

7. Februar 2025, Wolfram Quellmalz

Die anderen sechs der für Orchester vertonten »Wunderhornlieder« gibt es im 7. Sinfoniekonzert im März mit Sara Blanch (Sopran), Christian Gerhaher (Bariton) und Daniele Gatti.

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