»Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund«

Dresdner Philharmonie führte ein berührendes War Requiem auf

Die Gedenkveranstaltungen zum Tag der Zerstörung Dresdens hätten an diesem 80. Jahrestag auch allzu erdrückend oder einseitig ausfallen können. Doch fanden sich viele Ansätze darin, die nicht nur »gut gemeint« oder »vorbildlich« waren, sondern verbindliche Gesten einschlossen, Hoffnung gaben. Dazu zählte Benjamin Brittens »War Requiem«, das am Donnerstag von der Dresdner Philharmonie aufgeführt wurde. Während sich auf den Bühnen der Tschechische Philharmonische Chor Brno mit dem Philharmonische Chor Dresden sowie der Kinderchor Radost Praha mit dem Philharmonischen Kinderchor Dresden verbanden, hatte unter den offiziellen Gästen vor der Bühne eine Delegation um Prince Edward, Duke of Kent, platzgenommen.

Das War Requiem des Pazifisten Benjamin Britten, zur Wiedereröffnung der Kathedrale von Coventry geschrieben, sollte ein Symbol der Hoffnung und des Friedens sein, hatte Prince Edward in seinem Grußwort erinnert. Diesen Symbolgehalt und Hoffnungsschimmer kann man bis heute spüren. Anders als bei den meisten Requien, die der Liturgie folgen und eine Art Allgemeingültigkeit in sich tragen, oder solchen, die sich ganz besonders an die Menschen richten, wie bei Johannes Brahms, verbindet Britten verschiedene Ebenen. Der Liturgie hat er Worte des in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges gefallenen Dichters Wilfred Owen hinzugefügt, der unter den Solisten zwei Soldaten einbezieht. Diese blicken auf Kriegserlebnisse und ihr Handeln zurück, worin Momente einer emotionalen und moralischen Verarbeitung liegen. Ihr Verharren bzw. die Erwartung dessen, was kommen wird, schlägt aber auch Brücken in Gegenwart und Zukunft.

Aufführung des War Requiems von Benjamin Britten im Dresdner Kulturpalast mit der Dresdner Philharmonie, dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brno, dem Philharmonische Chor Dresden, dem Kinderchor Radost Praha sowie dem Philharmonischen Kinderchor Dresden und Solisten, Dirigent: Sir Donald Runnicles, Photo: Dresdner Philharmonie, © Oliver Killig

Die strukturellen und zeitlichen Ebenen hat Britten mit einer dreiteiligen Anlage noch tiefer herausgearbeitet, die sich in einer Kirche durch unterschiedliche Positionen der Aufstellung (und damit der Richtungen des Klangs) natürlich noch mehr betonen lassen als in einem Konzertsaal. Rein praktisch konnte Sir Donald Runnicles im Kulturpalast jedoch das große Orchester und das ebenfalls aus Philharmonikern gebildete Kammerorchester, das seitlich auf der Hauptbühne saß, problemlos leiten. Kontrastwirkungen bzw. das Unterscheiden von Erzähl- und Erlebnisebenen hob er mit stilistischen und Ausdrucksmittel unvermindert hervor.

Dresdner Philharmonie, Sir Donald Runnicles, Russell Braun und Thomas Atkins, Photo: Dresdner Philharmonie, © Oliver Killig

Ergreifend war, wie sich dabei Hörerfahrung und gedanklicher Kontext ergänzten. Nicht nur, weil die Texte jeweils eingeblendet wurden und leicht zu verfolgen waren. Schon die Stufungen der Ausdrucksstärke des großen Chores, der nach Stimmen sowie nach den Gruppierungen Emporen geteilt wurde, sorgten ebenso für eine intellektuelle Fokussierung wie für eine emotionale Ausdeutung. Der Erzählung und Realität, die sich hier verankerte, stand der Gesang der Kinderchöre gegenüber, die seitlich von außen (Nebenbühne) und mit einer Continuoorgel begleitet für einen Himmelseffekt sorgten. Ihr »Requiem aeternam dona eis« bescherte kurz vor Schluß einen der berührendsten Momente dieses Requiems! Verblüffend war die »Bandbreite« der Geschehnisse, Emotionen und Schilderungen durch den ebenso homogenen wie flexiblen Hauptchor. Seinem fein ausgearbeiteten Piano standen besonders kontrastierend die »Feuerspitzen« des »Dies irae« gegenüber, jene Textzeilen über den »Tag der Rache« bzw. »Tag des Zorns«, das Britten unmittelbar mit allen anderen Requien verbindet – auch das ein eindrucksvoller Effekt!

Unterstrichen wurde die starke Leitung durch die Solisten: Sopranistin Sara Jakubiak war mit dem Hauptchor auf der Orgelempore positioniert, Thomas Atkins (Tenor) und Russell Braun (Bariton) als die beiden Soldaten vor dem Kammerorchester. Gerade ihnen gelang eine vielschichtige, einfühlsame Darstellung, bezogen sie doch einerseits Kriegserlebnisse ein, zogen aber auch eine Art moralisches Resumée, wie im paradoxen Satz »Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund«. Der beinahe fahlen, aber nicht deklamierenden Kühle eines Menschen, dem das Blut, die Hoffnung, das Leben entweicht, stellten sie damit eine Zukunftsaussicht gegenüber, die doch Hoffnung enthält. Zauberisch gelang Russell Braun die Erzählung »Bugles sang« (Hörner sangen).

Vor 60 Jahren wurde das War Requiem erstmals in Dresden gespielt, es war die DDR-Erstaufführung. Inge Knothe war damals (mit der Staatskapelle Dresden, im Bild mit dem damaligen Originalprogrammheft) mit dabei und kam auch dieses Mal wieder, Photo: NMB

Trotz bzw. gerade wegen der an sich gegebenen Dreiteiligkeit hatten Übergänge und tonale Bindungen eine besondere Bedeutung. Donald Runnicles sorgte dabei für eine konzise, präzise und differenzierte Darstellung. Immer wieder hoben gerade Pianopassagen oder Soli, nicht nur im Kammerorchester, Textzeilen hervor. Und noch in der Wucht des »Dies irae« blieb die Linienführung klar und übersichtlich. Zwischen Expression mit Blechbläsern und Pauken und vielen ruhigen Passagen – Britten stellt Marschrhythmen der Ruhe und Glockenschlägen gegenüber – bestimmten nicht Gegensätze oder Konturlinien das Gesamtbild, sondern eine musikalisch-inhaltliche Gestaltung, die binnen kurzem ein Crescendo aufwühlend aufbrausen lassen oder in einen Moment der Beruhigung führen konnte. Sir Donald Runnicles verlas nach dem War Requiem das Gedicht »Mensch zu Mensch« von Gerrit Engelke, der ebenfalls in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges gefallen war. Er wünschte dies als »Anker« in unserer Zeit und als Ausdruck der Hoffnung zu sehen.

14. Februar 2025, Wolfram Quellmalz

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