Bachblüten

Tobias Leschke an der Silbermann-Orgel der Dresdner Hofkirche

Edward Bach beschrieb einst neunzehn Seelenzustände des Menschen, erweiterte sie dann auf 38. Jeder Gemütsverfassung ordnete er eine Blüte oder einen Pflanzenteil zu, aus der oder aus dem er eine Essenz gewann. Aus den Urtinkturen der 38 Essenzen gewann er schließlich – stark verdünnt, die Bachblüten, die heute noch in jeder Apotheke zu haben sind. Sie stärken das seelische Gleichgewicht oder helfen, akute Streßsituationen zu bewältigen, versprach Bach.

Blüten des Schlumbergera in diesen Tagen, also ein Passionskaktus, Photo: NMB

Tobias Leschke (Dekanatskirchenmusiker des Erzbistums Paderborn in Iserlohn) hatte wohl anderes im Sinn, als er sein Programm »Bachblüten« nannte. Um Bach, allerdings Johann Sebastian, herum gebaut, konnte man darin aber auch Gemütszustände finden. Ob nun neunzehn oder 38 – zumindest achtzehn boten sich, den Teilen der Stücke nach, an. Ein und ein halbes Dutzend – Zahlensymbolik, ob ursächlich oder hineininterpretiert, findet sich bei (Johann Sebastian) Bach häufig.

Auch wenn es gestern ein Konzert im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ und keine Andacht war, lag natürlich, weil es in der Dresdner Hofkirche (Kathedrale) stattfand, ein Bezug oder eine Rücksicht auf den Kirchenkalender und die Passionszeit nahe. Johann Sebastian Bachs Präludium e-Moll (BWV 548 / 1) unterlief mit seinem frohen, beinahe lauthals-fröhlichen Charakter diese Erwartung gekonnt – wie eine Erweckung zog das Präludium die Hörer sogleich in den Bann der Musik Bachs. Wo man verharren konnte, denn mit der folgenden Partita »Sei gegrüßet, Jesu gütig« (BWV 768) gelang Tobias Leschke ein glänzender Übergang. Völlig anders im Charakter (oder Gemütszustand) sorgte sie nicht nur für eine Beruhigung, sondern richtete den Blick zunächst sozusagen nach Innen. Die auf das andächtige Choralthema folgenden elf Variationen konnten in ihrer Spannweite überraschen – verspielt, im dialogischen Wechsel zwischen Haupt- und Oberwerk, schimmernd, liedartig und dunkel, dann wieder forsch (mit Trompetenregistern), luftig oder mit dem Choral im Baß – die Vielgestalt der Blüten in Formen und Farben trat hier offen zutage.

Nicht nur Bachs Werk ist blütenreich, auch das manch anderer Komponisten. Und wenn sich beides miteinander verbindet und noch in Fugen »versteigt«, kann es köstlich sein. Insofern gab es mit drei der Sechs Fugen über den Namen BACH Opus 60 von Robert Schumann ein willkommenes Wiederhören, selbst wenn Domorganist Sebastian Freitag sie im letzten Konzert des Dresdner Orgelzyklus ebenfalls im Programm gehabt hatte. Aus schattigen Mollgründen erhob sich die erste Fuge und strebte unaufhaltsam in eine Steigerung, während Tobias Leschke in der zweiten zunächst die verspielten Formen offenbarte, die jedoch ebenso in eine Steigerung mündeten. Am kräftigsten fiel sie wohl in der dritten Fuge aus, die einen regelrechten Gipfel erreichte.

Geradezu zum Verwechseln oder für ein Ratespiel schien Sigfried Karg-Elerts Aria »alla Bach« Opus 101 / 6b geeignet. Lieblich und sanft hatte sich der Komponist in die Manier Bachs vertieft, Tobias Leschke tat ein übriges, diesen Gusto verblüffend in einer Synthese aus 18. und 20. Jahrhundert zu amalgamieren.

Ganz ohne Stilblüten pflückte er die letzte Blume aus dem Körbchen und kehrte zum Ausgangspunkt zurück. Johann Sebastian Bach Fuge e-Moll (BWV 548 / 2) knüpfte an das Präludium des Eingangs an, als hätte ein großer Autor in seine Romanhandlung eine Nebenerzählung der Handlung eingeflochten. Ausgesprochen festlich verleitete der Abschluß zum Sinnieren über die Grenze bzw. Berührungspunkte zwischen Fuge und Polyphonie.

20. März 2025, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Mittwoch spielt Martin Bambauer (Trier) im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ an der Kern-Orgel der Frauenkirche.

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