Christian Thielemann stellt in der Lindenoper Henze und Bruckner gegenüber
Von der Staatskapelle in Dresden wechselte Christian Thielemann zur Staatskapelle nach Berlin, wo er seit der vergangenen Spielzeit seine Programme verwirklicht. Manches ähnelt sich, manches kehrt wieder, wie zum Beispiel die Sinfonien Anton Bruckners, die Thielemann über einen längeren Zeitraum zyklisch aufführt. In dieser Woche stand die sechste auf dem Programm, das am Montag in der Staatsoper unter den Linden und am Dienstag in der Berliner Philharmonie gegeben wurde. Doch es war nicht die einzige wiederkehrende Komponente, denn auch Hans Werner Henzes »Sebastian im Traum« war 2012 schon einmal, in der Zeit war Henze Capell-Compositeur, in Dresden erklungen.

Damals schon sorgte es für eine innige Begegnung, die manches über Christian Thielemanns Verständnis für Henzes Musik verriet. Eine Wertschätzung darf man es wohl nennen, sonst hätte er das Werk nicht wieder als Einleitung gewählt. Diesmal bildete »Sebastian im Traum« mit Bruckners Sinfonie, ohne Pause dazwischen, einen konzentrierten, von Licht und Dunkel durchzogenen, aber auch verhältnismäßig kompakten Konzertabend. Kurz nach halb neun verließen die Besucher bereits wieder die Lindenoper – ein guter Zeitpunkt für einen Ausklang mit Nachbetrachtungen, denn dafür war reichlich Stoff geboten worden.
Hans Werner Henze hat das Gedicht von Georg Trakl in seiner Stimmung erfaßt, erzählt keinen Verlauf nach, sondern baut eine Art Raum des Traumes, der ein paar frohe, lichte, aber überwiegend dunkle, düstere Momente enthält. Ein »Bild« des Kindes, der Mutter des blauen Falters entsteht nicht in Gestalt, sondern wird fühlbar, aber immer wieder bedroht von Gespenstern, schwarzem Fieber und Tod. Was davon echt ist, läßt sich nicht sagen – es bleibt ein Traum.

Die Berliner Staatskapelle versetzte dieses »Bild« regelrecht in Schwingung, formte mit Hell und Dunkel ein Gewebe, in dem beides untrennbar ineinanderfloß, so wie das Tremolieren der Streicher in ein Forte des Blechbläserchores überschwappte. Die zarten Konturen, von Schlagwerk und Klavier wie aus dem Nichts kommend, zerfielen, wichen einem Eindruck der Beklemmung und Angst, an dessen Ende – mit kräftigem Schlag – ein plötzliches Erwachen stand. Bemerkenswert war der Wiedererkennungswert in Henzes Komposition sowie die instrumentale Lyrik, die Christian Thielemann darin freilegte.
Manches ähnelt sich, manches kehrt wieder. Da mag man Anton Bruckners sechste Sinfonie schon oft gehört haben, auf Neuentdeckungen darin gefaßt sein – diese Erfahrung hat man ja schon gemacht. Aber zu Christian Thielemanns Qualitäten zählt es, den Wert, den Klang eins Orchesters zu erkennen, damit zu arbeiten. Ein wenig dunkler seien die Berliner, hatte er einst gesagt – ein Eindruck, der sich bestätigen läßt. Die Bläser sind etwas schärfer als die in Dresden, doch Christian Thielemann arbeitet am Klang, nimmt sie nicht einfach zurück. Manchen Besuchern waren sie zumindest in der Lindenoper zu laut, was allerdings kein allgemeiner Eindruck ist, schließlich formten sie manchen Klanggipfel, und der darf am Grat doch ein wenig spitz sein.

Wie unglaublich modern Bruckner war, zeigt sich in kleinen Motiven, fast Partikeln, die in stetigen Wiederholungen gewandelt werden, aber mehr als nur eine Art Phasenwechsel vollziehen wie in der späteren Minimal music. Bei Bruckner ändern sich ganze Zustände, Ebenen, Gebirgszüge. Das wurde so offensichtlich, weil Christian Thielemann nicht nur auf Stufungen innerhalb eines Abschnitts Wert legt, sondern alles ins Verhältnis setzt. Und das ist deshalb so erkenntniserfrischend, weil man bei Bruckner die Motiventwicklung über das ganze Werk nachvollziehen kann.
Und es lenkt den Blick bzw. das Ohr nicht nur auf Solisten, sondern die Gruppen. Wie die Violoncelli, die den ersten Satz ganz wesentlich stützten, mit Puls und beim Wandel. Im Adagio zeichnete Christian Thielemann ein atemberaubendes Tristan-Idyll. Bruckner hat sich darin stark auf seinen »Meister« bezogen und läßt die Oboe ihr frohes Motiv verkünden – im »Tristan« kommt es vom Englischhorn bekanntlich zu spät.

Die letzten beiden Sätze – Tristan ist gerettet – ließ Christian Thielemann fröhlich hüpfen (Punktierung im Scherzo), das Trio leuchteten Hörner und Fagott aus, bevor der Dialog von Trompeten (tatsächlich großes Forte) und Hörnern (als Echo) den majestätischen Ausklang vorbereiteten. Auch im Finale, in dem sich alle Motivfäden vereinigen, hatte mit den Bläsern Passagen, die fast einer Serenade glichen. Mehr Klang kann man kaum haben.
25. März 2025, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Abonnementkonzert (Mai) spielen Petr Popelka (Dirigent) und Emanuel Ax (Klavier) Werke von Anton Webern, Wolfgang Amadé Mozart und Antonín Dvořák.