Semperoper holt »Lohengrin« von Christine Mielitz wieder hervor
Unter den Inszenierungen der Dresdner Semperoper gehört Richard Wagners »Lohengrin«, von 1983 stammend, mittlerweile zu den ältesten. Wie »La bohème« von der gleichen Regisseurin feierte er bereits 1983 seine Premiere – damals, zwei Jahre vor der Wiedereröffnung der dritten Semperoper, noch im Großen Haus des Staatsschauspiels. Mit den Jahren und dem neuen Ort heißt die Inszenierung heute »nach Christine Mielitz«.

Anders als »La bohème«, das in jeder Spielzeit etwa ein dutzendmal gegeben wird, steht »Lohengrin« nur alle paar Jahre mit wenigen Aufführungen im Programm. Zuletzt gab es Richard Wagners romantische Oper 2016 am Haus, damals mit einer spektakulären Besetzung: Anna Netrebko und Piotr Beczała – beide waren nach dem Dresdner Rollendebüt auch bei den Bayreuther Festspielen als Elsa und Lohengrin zu erleben.

Wie wird es mit der diesjährigen Besetzung weitergehen? Die Hälfte der Sänger für die sechs wichtigsten Figuren feiern mit »Lohengrin« ihr Rollen- oder Hausdebüt – oder beides. Neben Pavol Breslik als Lohengrin ist auch Friedrich von Telramund für Markus Marquardt eine erste Bühnenverkörperung, Birger Radde (Heerrufer) feiert mit dem Rollendebüt gleichzeitig seinen Einstand im Haus – mit Bravour! Johanni van Oostrum kennt dagegen sowohl die Semperoper (als Agathe im »Freischütz«) wie sie als Elsa von Brabant bereits das Publikum der Bayerischen Staatsoper begeisterte (dort als Einspringerin). Ortrud liegt bei Anja Kampe und wie Heinrich der Vogler bei Georg Zeppenfeld in bereits bewährten Händen. In Sachen Dirigat scheint ebenso auf der »sicheren Seite« zu sein: Sebastian Weigle war zwar einige Zeit nicht am Pult der Sächsischen Staatskapelle, zuvor allerdings lange Jahre regelmäßiger Gast und ist gleichermaßen opern- wie wagnererfahren – würde er die vielen Debüts sicher leiten?

Im Grunde ja. Mit Souveränität lotste er die Kapelle, den Sächsischen Staatsopernchor Dresden (Vorbereitung: Chordirektor Jan Hoffmann) und die Solisten durch das Stück, sorgte schon im ersten Vorspiel für den doppelten Boden der beständig dräuenden Gefahr bedrohten Glücks – trotzdem waren Chor und Orchester in der ersten der drei Aufführungen (30. März) noch nicht immer perfekt zusammen, und ausgerechnet im Vorspiel zum dritten Aufzug saß der Einsatz dann nicht wie gewohnt.

Souveränität ist eine sichere Basis und erlaubte es auch Georg Zeppenfeld, schnell in die Rolle König Heinrichs (zurück) zu finden. Mit Spannung erwartet wurden natürlich die Auftritte von Johanni van Oostrum und vor allem Pavol Breslik, der im Herbst erstmalig als Mefistofele in Arrigo Boitos gleichnamiger Oper gefeiert wurde – ebenfalls in Dresden. Bei ihm begeisterte vor allem schlanke, ungemein lyrische Stimme, wie gemacht für Mozart oder Liedgesang (der Rezensent erinnert sich an einen Liedernachmittag im Goethe-Theater Bad Lauchstädt mit Schuberts »Die schöne Müllerin« 2014 und an einen Liederabend beim Dresdner Kunstfest ein Jahr später). Gerade diese lyrische Schlankheit paßte ungemein zum »hellen Helden«. Doch hat Lohengrin gegen ein großes Orchester zu singen und in Christine Mielitz Inszenierung teilweise aus der Bühnenmitte oder der hinteren Hälfte oder in einer Umdrehung. Akustisch ist das schwierig – war das der Grund oder der Druck des Debuts, daß Pavol Breslik die Leichtigkeit im Verlauf ein wenig abhanden kam? Ausgerechnet die Gralserzählung schien so zu wackeln und glitt bei »Erkennt ihr ihn?« ab. Nicht viel, aber merklich, auch wenn Breslik es gekonnt (souverän) abfing.
Markus Marquardt schien von solchen Unbilden unberührt, formte aus seiner Erfahrung und Souveränität eine große Präsenz – doch traf er damit die Rolle? Die Ambivalenz, der vage Zweifel und vor allem das Gleichgewicht zu Ortrud (ist sie nicht die Stärkere, die Friedrich »Steuert«?) war nicht gegeben. Solche Kleinigkeiten waren denn doch ungewohnt und mögen sich bei den folgenden Aufführungen bereits aufgelöst haben, indes schleicht sich die Frage ein, ob die Proben zu knapp waren?

Dabei soll nicht der Eindruck entstehen, insgesamt wäre dieser »Lohengrin« getrübt oder Rollen falsch besetzt – mitnichten! Anja Kampe spielte ihre Erfahrung nicht allein gekonnt aus, sie verlieh Ortrud durchaus eine Seele (wenn auch mit einer »schwarzen Seite«). Nicht allein ein giftiges, rachsüchtiges Weib, sondern eine zielstrebige Frau, die jedoch rücksichtlos werden kann. Stimmlich durchsetzungsstark bewahrte sie dennoch menschliche Züge – die Frage, wer warum die Macht besitzt, darf man letztlich stellen.
In jeder Hinsicht rein ist Elsa – aber auch nicht ohne Fehler. An Vorzügen mangelt es ihr natürlich nicht – Johanni van Oostrum konnte mit ihrem Sopran betören, doch läßt sich Elsa leider beeinflussen, Ortruds Ränke fallen auf den fruchtbaren Boden jugendlicher Unbeherrschtheit, die Johanni van Oostrum mit stimmlicher Reife gekonnt verband – Unerfahrenheit und Leidenschaft lassen Elsa letztlich die verbotene Frage stellen.

Eine Entdeckung war Birger Radde als Heerrufer, der gediegenen Glanz verbreitete und in den Szenen (etwa mit Heinrich) von Beginn ebenbürtig war. Auch der riesige Chor beeindruckte mit seiner Verständlichkeit – nebenbei zeigte sich dabei, vom Rang und aus dem Bühnenhintergrund, die »Handschrift Mielitz«, deren Bewußtsein, Räume zu nutzen, quasi ein Markenzeichen ist. Somit bleibt ihre Inszenierung, mag sie auch in die Jahre gekommen sein, im Eindruck frisch, nicht nur wegen ein paar neuen Stimmen. Manches Bild, wie die kriegsbereiten Truppen, die sich rüsten, sind wohl ewig aktuell. Trotzdem bleiben solche »Querverweise« nicht symbolisch, auch Heinrich ist bei Mielitz und Zeppenfeld nicht ohne Weisheit, ergo nicht ohne Zweifel, die den König zu überkommen scheinen, als Elsa zu Unrecht beschuldigt wird, ihren Bruder ermordet zu haben.
31. März 2025, Wolfram Quellmalz
Tip: die Richard-Wagner-Stätten Graupa bieten am wie meist im Rahmen von Wagneraufführungen eine Spezialführung. Unter dem Titel »Schwellenwerk Lohengrin: Zwischen politischer Botschaft und romantischer Verklärung« nähert sich Musikwissenschaftler Tom Adler am 6. April, 10:00 Uhr) noch einmal dem Werk. Vom 23. Mai bis 21. September 2025 zeigen die Richard-Wagner-Stätten Graupa dann eine Sonderausstellung zum Lohengrin-Jubiläum (175 Jahre).Dauer der Spezialführung: ca. 90 Minuten, Karten für 12 Euro (ermäßigt: 8) an der Museumskasse.