Johannes-Passion nach Schütz

Karfreitagsliturgie mit den Kapellknaben

Für viele gehört die Aufführung einer der Passionen von Johann Sebastian Bach zur Vorbereitung auf das Osterfest, selbst wenn sie im Rahmen eines Konzertes stattfindet und die Besucher mehr der Tradition folgen, als daß sie Gläubige Kirchgänger sind. In den größten Konzerten sorgt es dann schon für Aufmerken, wenn statt Matthäus einmal die Erzählung nach Johannes auf dem Programm steht wie in diesem Jahr beim Dresdner Kreuzchor. Dabei hat Johann Sebastian Bach mehr als nur zwei Passionen verfaßt, darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere – viele Kirchenkompositeure an Höfen mit einer Kapelle haben eigene Werke verfaßt. Neben dem Stil der Epoche, dem persönlichen Geschmack der Autoren und den Gewohnheiten der Höfe gab es einen weiteren wichtigen Einflußfaktor für die Werke: die Liturgie. Denn ursprünglich waren die Passionen für den Gottesdienst geschrieben und gestalteten diesen mit bzw. wurden ihrerseits aufgeteilt oder durch Predigten unterbrochen.

In dieser Art werden Passionen auch bis heute aufgeführt. In der Katholischen Hofkirche (Kathedrale) gehörte die Karfreitagsliturgie zu vielen Ämtern vor und zum Osterfest. Am Ostersonntag zum Beispiel gab es im Hochfest zur Auferstehung Christi die (wahrscheinlich) moderne Erstaufführung der Missa F-Dur von Johann Michael Breunich. Der Kirchenkomponist wurde 1746 Nachfolger von Jan Dismas Zelenka an der Dresdner Hofkirche, wo er seine Missa verfaßte. Nach seinem Tod wurde Breunichs Nachlaß veräußert, die Werke verstreut. Die Missa F-Dur ist ein Fund aus der Bibliothek des Oberösterreichischen Kremsmünster und erklang am Ostersonntag erstmalig wieder am Ursprungsort. Die Dresdner Kapellknaben sangen das betörend schöne Stück, von Musikern der Dresdner Staatskapelle begleitet, mit kleinen Soli und vielen fugierten Passagen von der Empore aus – ein eindrückliches Erlebnis! Fast schien es, als wolle die Missa im Sonne durchfluteten Kirchenschiff Anton Raphael Mengs Altarbild »Himmelfahrt Jesu«, das am Karfreitag noch verhüllt war, noch mehr leuchten lassen.

Zwei Tage zuvor hatten die Kapellknaben im Rahmen der Karfreitagsliturgie bereits Heinrich Schütz‘ Johannes-Passion (SWV 481) gestaltet. Im Vergleich mit Bach scheint das A-cappella-Werk nicht nur im Klang schlanker, sondern ist vor allem auch konzentrierter. Auf verweilende Momente oder Höhepunkte ausgestalteter Arien hat der Komponist verzichtet, dafür den Erzählstrang in der Vordergrund gerückt, ohne ihn zu stark zu »verdichten« – während Bach über zwei Stunden für den gleichen Text »benötigt«, dauert Heinrich Schütz‘ Johannes-Passion nur etwa 35 Minuten.

Um so wichtiger, daß Erzählfluß und Diktion stimmen, die Intonation »sitzt«. Domkapellmeister Christian Bonath hatte wie gewohnt die Soli mit Kapellknaben besetzt, die kleineren aus dem Chor heraus, auch die drei Solisten Evangelist (Gregor Hirschmann), Jesus (Simon Zeppenfeld) und Pontius Pilatus (Jakob Hirschmann) sind dem Haus vertraut und stehen den Kapellknaben nahe oder gingen aus ihnen hervor.

Im vergangenen Jahr unternahmen die Kapellknaben eine Pilgerreise nach Rom. Zu den Höhepunkten damals gehörte neben einem Empfang beim Deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl ein Konzert im Päpstlichen Institut (Händels »Messiah« mit einem italienischen Barockorchester) sowie eine Privataudienz bei Papst Franziskus am 2. Oktober. Photo: Kapellknaben Dresden

So schien die Johannes-Passion wie eine lange Lesung im musikalischen Gewand (was sie de facto ja ist), bei der das klare Wort bzw. die Botschaft im Vordergrund standen. Daß die Kapellknaben aber auch einen wunderbaren Klang zu formen und die Polyphonie verstehen, leuchtende Höhepunkte und andächtige Momente des Verweilens gestalten können, zeigten die weiteren Werke. Vor allem das Improperien Popule meus von Tomás Luis de Victoria wurde zu einem der berührendsten Momente. Berücksichtigt man, daß der Chor der Kapellknaben deutlich kleiner ist als andere Knabenchöre, konnte gerade die Mühelosigkeit des schwebenden Klangs begeistern, der die Hofkirche so farbig ausfüllte. Doch die Kapellknaben stehen auch im liturgischen Dienst und mußten immer dann, wenn im Ablauf zum Beispiel die Gemeinde eingebunden war und nach und nach ans Kreuz trat, Zeitabschnitte überbrücken, die sich nicht genau vorhersehen ließen. Das erforderte musikalische Flexibilität. Mit Chorälen kehrten sie dabei mehrfach zu Johannes nach Johann Sebastian Bach zurück (»Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn«, »Oh hilf Christe, Gottes Sohn« und »Ach Herr, laß dein lieb Engelein«). Einen Schlußpunkt im Jetzt fanden sie mit Knut Nystedts Immortial Bach (»Komm süßer Tod«), das sie im Kirchenraum verteilt sangen.

21. April 2025, Wolfram Quellmalz

Hinterlasse einen Kommentar