Gewandhausorchester spielte unter Alan Gilbert Brahms‘ Dritte vor Elgars Violinkonzert
Das war fast ein Déjà-vu – vor gut zwei Jahren hatten wir in Dresden bereits einmal ein Konzert besucht, bei dem mit Johannes Brahms‘ dritter Sinfonie der Höhepunkt zuerst präsentiert wurde und – derart sinfonisch angeregt – die Effekte des nachfolgenden ersten Klavierkonzerts von Peter Tschaikowsky entlarvte. Am Freitag vergangener Woche begann es im Leipziger Gewandhaus ähnlich – Alain Gilbert hatte wiederum diese, eine der schönsten und vorbildlichsten Sinfonien an den Anfang gesetzt und ließ das Konzertstück nach der Pause folgen. Immerhin war hier Edward Elgars Violinkonzert mit Brahms‘ Dritter kombiniert, das hinsichtlich des Gehaltes eher mit einer Sinfonie mithalten kann, sie an Länge übertrifft und darüber hinaus chronologisch auf den gebürtigen Hamburger folgte. Außerdem kann man in den Kreuzungen der Lebenslinien von Brahms und Elgar Bezüge ausmachen. Dennoch – wer trinkt den Pausensekt gern vor dem Konzert?
Welcher Überzeugung Alan Gilbert nun folgte oder welche seine Beweggründe gewesen sein mögen, sei dahingestellt – er nahm es sehr gelassen, auch im musikalischen Sinn. Gilberts Dirigat fiel vor allem dadurch auf, daß es mehr ordnete und koordinierte als daß es vorgab. Korrigierend eingreifen ja, aber zu stark die Richtung angeben wollte Alan Gilbert wohl nicht. Das ermöglichte ihm nicht zuletzt, anzunehmen, was das Orchester – mit Brahms schließlich erfahren – anzubieten hatte. Samtene Schläge der Kontrabässe zum Beispiel und einen gediegenen Streicherklang, fallende Linien der Holzbläser, vor allem im Fagott. Johannes Brahms‘ Bedachtsamkeit sozusagen, dabei würde man dieses Attribut nicht unbedingt mit dem Wahl-Wiener in Verbindung bringen. Doch es tat ihm gut, erlaubt majestätische Größe und einen Zuwachs an Klangvolumen, den die Blechbläser anregen. Oder wäre da mehr möglich? War das nicht zuviel Bedachtsamkeit?
Im Andante formte Alan Gilbert schöne Kontraste zwischen dem Duo der Klarinetten und Fagotte, denen die Violoncelli antworten. Die Klangästhetik war nahezu unbestechlich! Diesmal ließen die Holzbläser den Satz wachsen, das schmelzende Poco Allegretto, ohnehin der vielleicht schönste Satz, gewann über die Celli, dann Violinen und Hörner an Form. Trotzdem – fehlte da nicht der Biß? In der allzu schönen Gemächlichkeit vermißte man die Reibungspunkte, den Mutwillen, die Leidenschaft – in Schönheit baden sollte Brahms‘ Sinfonie schließlich nicht. Markante Gestaltungsmerkmale blieben rar, obwohl sie beeindruckten, wie das Crescendo am Beginn des vierten Satzes, das Alan Gilbert mit den Hörnern fast auf einer einzelnen Note entstehen ließ.
Würde Frank Peter Zimmermann für mehr Brisanz sorgen? Tendenziell durchaus. Vor allem der raffinierte erste Satz in Edward Elgars Konzert für Violine und Orchester h-Moll brachte manches, was zuvor gefehlt hatte. Wie ein charakteristisches Stapfen (in Brahms erster Sinfonie ist es auch drin). Überhaupt waren plötzlich Energie und Erregung (Orchestertutti) spürbar, traten Anklänge an Schumann, später an Sibelius hervor. Dabei konnte Frank Peter Zimmermann seinen Klang variieren, nahm sich zurück und verschmolz mit der Violagruppe. Von dort kamen plötzlich die Impulse.

Meist aber setzte diese Frank Peter Zimmermann, und sei es bei einem Lagenwechsel wie im zweiten Satz. Oft drehte er sich dabei zum Orchester um, nahm direkten Kontakt auf – für noch mehr Miteinander oder weil es am gemeinsamen Verständnis, an der Führung haperte?
Das Allegro molto schien zunächst wieder frischer. Hier wurde deutlich, wie Alan Gilbert nicht bestimmend vorgab, sondern die Akteure ins Spiel brachte. Das war akkurat und förderte den Klang, doch der dritte Satz konnte mit dem ersten kompositorisch nicht mithalten, blieb letztlich ein wenig zäh. Trotzdem gab es viel Applaus für das außergewöhnliche, selten zu hörende Stück. Frank Peter Zimmermann bedankt sich mit einer Zugabe, auf die das ebenso zutrifft: Franz Schuberts »Erlkönig« in einer Fassung von Heinrich Wilhelm Ernst (»Grande Caprice«). Doch teils kratzig und intonatorisch schwierig, hinterließ sie einen eher zwiespältigen Eindruck.
3. Mai 2025, Wolfram Quellmalz