Raketenstart, nächste Stufe

Petr Popelka im Konzert bei der Staatskapelle Berlin

Es scheint, Petr Popelka zünde eine Raketenstufe nach der anderen – und immer mit Erfolg. In wenigen Jahren bzw. binnen kurzer Zeit erobert er die Klangkörper der Welt. Auch wenn in manchen von ihnen ehemalige Kontrabaßkollegen oder Freunde sitzen (Petr Popelka sagt, es sei viel schwieriger, ein Orchester zu dirigieren, in dem lauter Freunde sitzen), kann man nicht sagen, daß er sich über Beziehungen »weiterhangele« oder keine Wagnisse eingehe. Im Gegenteil: immer neue Kontakte, immer neue Aufgaben – in Berlin dirigierte er unter anderem »Tristan und Isolde« an der Deutschen Oper.

Gestern war Petr Popelka bei der Berliner Staatskapelle in der Staatsoper Unter den Linden zu Gast. Bei der zweiten Aufführung heute kann der Dirigent gleich einmal Maß nehmen, denn wie immer findet diese dann in der Berliner Philharmonie statt. Hierher, zu den Philharmonikern, ist Petr Popelka im kommenden Jahr eingeladen. Da ist es sicher gut, wenn er den Raum schon kennt …

Austausch mit Mozart: Emanuel Ax und die Staatskapelle Berlin (Konzertmeisterin Jiyoon Lee), Photo: Staatsoper Unter den Linden, © Peter Adamik

Gestern standen drei Standardwerke auf dem Programm, gleichzeitig Orchesterprüfsteine – schwer zu sagen, welches Petr Popelka mehr liegen, welches ihn mehr fordern würde. Schon bei Anton Weberns »Im Sommerwind« sorgte er für eine ungeahnte Erfrischung, fächerte den Klang auf, als würde er sorgfältig jede Note »putzen«. Das zugrundeliegende Gedicht von Bruno Wille beginnt mit der Zeile »Es wogt die laue Sommerluft« – kein bißchen lau, aber aus einem feinen Piano ließ Petr Popelka den Orchesterklang aufsteigen. Zunächst ließ sich gar nicht genau sagen, welche Instrumentengruppen beteiligt waren. Bläser? Nein, die Streicher woben den Klang allein, mit einem Raunen in den Violen konkretisierte er sich.

Zwischen Konzertmeisterin, Holz- und Blechbläsern wob das Orchester ein luzides Gespinst, äußerst fein, aber tragfähig, so daß sich auch markante Soli darin nicht verfingen. Und immer wieder traten einzelne Gruppen hervor, wie die Kontrabässe. Daß dies kein »Freundschaftsdienst« des ehemaligen Instrumentalisten war, erklärte sich bald bzw. erkannten es jene wieder, die Petr Popelka bereits erlebt hatten. Denn die Gestaltung dynamischer Verläufe gehört zu seinen Spezialitäten.

Feiner Anschlag: Emanuel Ax, Photo: Staatsoper Unter den Linden, © Peter Adamik

So wie im Klavierkonzert d-Moll (KV 466) von Wolfgang Amadé Mozart. Die Berliner Staatskapelle nahm es »trocken«, mit kurzen Bogenstrichen und wenig Nachhall, also nicht zu stark »romantisch«, sondern eher historisch informiert bzw. in einer Synthese für ein modernes Sinfonieorchester, das sich ja von einem Originalklangensemble unterscheiden möchte. Emanuel Ax übernahm seinen Part mit Gelassenheit und Noblesse, blies den Staub von den Kadenzen und beeindruckte vor allem mit unauffälliger Fingerfertigkeit – keine Effekthascherei! In der Bedachtsamkeit trafen sich Solist und Orchester, lockten dabei, vor allem im ersten Satz, einen dunklen Ton hervor, der bereits Don Giovanni ahnen ließ.

Emanuel Ax hatte uns im vergangenen Jahr bei einem Schubert-Klavierabend schwer beeindruckt, nun fügte er in seiner typischen Eleganz Chopins Valse brillante als Zugabe an.

In seinem Element: Petr Popelka am Pult der Staatskapelle Berlin (Konzertmeisterin Jiyoon Lee), Photo: Staatsoper Unter den Linden, © Peter Adamik

Womit zwar nicht Schluß war mit Gelassenheit und Eleganz, aber für Antonín Dvořáks sechste Sinfonie holte Petr Popelka viel weiter aus. Und das weniger in den Gesten – sowieso fällt auf, wie ungemein zugewandt und aufmerksam er das Orchester dirigiert. Jetzt bereicherte außerdem ein tänzerischer Impuls Dvořáks Sinfonie, der den Melodienfluß weit über ein rein volkstümliches Element hob. In der Liedmotivik wie am Anfang und am Ende bewies die Berliner Staatskapelle einen schlanken Ton, während sie dazwischen eine kompakte Klangfülle erreichte. Das Adagio nahm Petr Popelka beherzt, peitsche manche Passagen geradezu, um das folgende Scherzo noch effektvoller schwingen zu lassen. Die musikalische Grundaussage blieb dabei intakt, nichts geschah also um des Effektes willen, und so schloß sich auch das Finale bündig an. Es war noch eine Gelegenheit, zu beobachten, wie Petr Popelka in Stufen oder stufenlos eine »Rampe« aufbaute – immer mit Sinn und Rücksicht, schien es. Da durften die Celli noch einmal rasant lostoben – die Kontrabässe fingen sie auf. Volkstümliche Liedsinfonik? Wer weiß, auf jeden Fall beste Musikantität!

20. Mai 2025, Wolfram Quellmalz

Heute noch einmal (20:00 Uhr, Berliner Philharmonie): Abonnementkonzert VII mit Petr Popelka: Anton Webern »Im Sommerwind«, Wolfgang Amadé Mozart Klavierkonzert d-Moll (KV 466, Solist: Emanuel Ax), Antonín Dvořák Sinfonie Nr. 6 D-Dur Opus 60, Staatskapelle Berlin

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