Ideale Quartettgesellschaft

Barbican Quartet in Strehlen

Klar kann man – gerade zwischen Mitte Mai und Mitte Juni – in Dresden viel Musik erleben. Allein binnen dreier Tage von Sonnabend bis Montag gaben sich drei Streichquartette »die Klinke« in die Hand. Allerdings kann die Reihe der Meisterwerke – Meisterinterpreten die Einladung des Barbican Quartet für sich beanspruchen und steht damit neben den großen Musikfestspielen ziemlich beeindruckend da.

Das 2014 in London gegründete Barbican Quartet gewann 2022 den ersten Preis beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD – spätestens seitdem gehört es zu den gefragtesten Formationen seiner Generation. Besieht man sich Preisträger-Vorgänger wie Armida, Arod oder Aris, darf man wohl für die Zukunft einiges erwarten. Und nicht nur das – schon in der Gegenwart genügen Amarins Wierdsma und Kate Maloney (Violinen), Christoph Slenczka (Viola) und Yoanna Pradanova (Violoncello) höchsten Ansprüchen, wie man am Sonntag im Gemeindesaal der Strehlener Christuskirche erleben konnte. Haydn, Ligeti und Beethoven standen auf dem Programm der »Träume«. Doch damit waren sicher keine Hirngespinste gemeint, sondern Visionen – Stücke visionärer Komponisten.

Das Barbican Quartet im Strehlener Gemeindehaus, Photo: NMB

Dazu gehört absolut Joseph Haydn, der mit seinen Streichquartetten die Gattung nicht erfunden, aber manifestiert hat. Frei, also ohne formalen Zwang, dürfen sich bei ihm die vier Stimmen entfalten, auch einmal im Ungleichgewicht, und nicht nur dann, wenn die führende Violine melodiös die sprichwörtlich »erste Geige« spielt. Um so wichtiger, daß die vier Positionen ausgeglichen und individuell aussagekräftig besetzt sind. Haydn erreichte schon im ersten Satz bald einen sonnigen Charakter, wobei gerade die Wendung dahin effektvoll ausgespielt war. Solche Effekte, wie die Fugen im Schlußsatz oder der Wechsel von Betonungen, konnten gerade deshalb so gut wirken, weil die Basis stimmte. So schien das Violoncello von Yoanna Pradanova das Trio der verbleibenden Stimmen gegenüber Amarins Wierdsma zu binden. Das Menuett barg inclusive Trio als Trio (also ohne Violine zwei) jenen neckischen Spaß, den Haydn wohl mit höfischer Überkommenheit trieb.

Spaß und ein freier Geist waren wesentliche Antriebe für György Ligeti. Und sie waren die Basis, daß neues entstehen konnte, wie sein erstes Streichquartett »Metamorphoses nocturnes«. Wie sich hier kleine Motive, Melodieabschnitte entwickelten, ineinanderspielten, weitergegeben und weiterentwickelt wurden, zeigte Ligetis große Raffinesse und stellt sein Werk weit über andere Stücke minimaler Ansätze. In der Wiedergabe des Barbican Quartet konnten sich nicht nur die Metamorphosen entfalten, sondern auch der (Spiel)witz, der plötzlich Abschnitte einer Tanzmelodie zu entfalten schien. Da durfte – fast wie bei Haydn – ein Walzer im Glissando »abrutschen«, das Violoncello in jazzige Gefilde aufbrechen, bevor sich die vier Spieler mit zunehmend expressiver Gestaltung wieder vereinigten. Klar: heute gehört gerade dieses Werk in den Kanon der Quartettliteratur, doch so mustergültig bekommt man es selten präsentiert. Ein so anhaltender Applaus ist nicht immer die Erwiderung.

Bei Ligetis Metamorphosen sollte es auch gar nicht bleiben, denn Ludwig van Beethoven kann man durchaus als Metamorphose Haydns auffassen. Freilich erstaunt uns heute die Ablehnung, die manche Werke, wie das Streichquartett Opus 59 Nr. 1 F-Dur, das erste der »Rasumowsky-Quartette«, damals erfuhr. Aus unserer Sicht scheint die Entwicklung doch geradezu logisch. Wer sonst außer Beethoven hätte sie vollziehen können?

Barbican Quartet, Photo: NMB

Wie bei Haydn schien im ersten Satz die Sonne einzukehren, doch wie bei Ligeti fanden sich schon bei Beethoven minimalistische Motive im zweiten Satz. Und auch im Adagio wies die Verlangsamung auf den Notenwerten bereits auf Effekte, wie sie weit in die Zukunft gewichtig werden sollten. Vor allem aber lebte dieser Beethoven von der Ausgewogenheit, aus der sich manch neckischer Einwurf à la Haydn inmitten des Beethoven’schen Aufschwungs entfalten durfte.

Das Strehlener Publikum ist kritisch und erfahren und votierte in diesem Fall für mehr, dafür gab es noch ein malerisches Andante von Wolfgang Amadé Mozart aus dem Quartett D-Dur (KV 575).

26. Mai 2025, Wolfram Quellmalz

Im Sommerkonzert (22. Juni, Weinbergkirche Pillnitz) bleibt es beim Streichquartett, dann dreht sich alles um die Große Fuge, wozu die Erläuterungen von Marek Janowski erwartet werden.

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