Kurz vor dem Saisonabschluß, im letzten regulären Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie, gab es noch einmal ein Debut: Maxim Emelyanychev, der sich mit Ensembles zwischen Barock und Wiener Klassik sowie als Pianist einen Namen gemacht hat, dirigierte das Orchester zum ersten Mal. Ein regelrechtes »Hausdebut« war es allerdings nicht, denn als Gast und Begleitung von Joyce DiDonato war Emelyanychev bereits zweimal im Kulturpalast gewesen (Dresdner Musikfestspiele), hatte neben dem Cembalo sogar Zink gespielt.
Seiner »Herkunft« von der etwas älteren Musik und dem zweiten Programmteil (Beethoven) gemäß stellte er die Philharmonie wieder einmal in Deutscher Sitzordnung auf, was nicht nur im Gegenüber der Ersten und Zweiten Violinen manchen Gegensatz oder thematischen Bezug offenbarte.

Es erwies sich schon bei Bohuslav Martinůs Ouvertüre H 345, die erstmals erklang, als sinnige Eingebung, denn der Komponist spielt darin mit barocken Formen wie dem Concerto grosso. Schon der Beginn mit Trompeten erinnerte an den Barock, in kurzen, fließenden Abschnitten wechselten hernach Holzbläser und Streicher oder fanden Konzertmeisterin Heike Janicke und Flöten in einen Austausch. Eine in jeder Hinsicht spritzige Bekanntschaft!
Es blieb zunächst tschechisch, sogar böhmisch – oder auch nicht. Denn so wie Martinů eine wesentliche Prägung in Paris erfuhr und später in Amerika lebte, weilte Antonín Dvořák einige Zeit hinter dem »großen Teich«. Allerdings finden sich gerade in seinen »amerikanischen« Werken manche böhmischen Eingebungen, und so klingt sein Klavierkonzert g-Moll anfangs nicht wenig nach Moldau oder Ohře. Anders als Dvořáks beliebtes Cellokonzert, das immer wieder gespielt wird und auch am Saisonbeginn der Philharmonie auf dem Programm steht, fristet sein Klavierkonzert ein wenig ein Schattendasein. In der Tat erklang es am gleichen Ort, als dieser noch ganz anders aussah: vor dreizehn Jahren, nur eine Woche später, standen mit Michael Sanderling im »Ausklang« des alten Kulturpalastes vor dem Umbau alle drei Solokonzerte Antonín Dvořáks auf dem Programm. Sein Opus 33 durfte man nun also in gewisser Hinsicht neu hören.
Mit Lukáš Vondráček wurde es von einem erfahrenen und sorgsamen Pianisten präsentiert, der die tschechische Musik in besonderem Maße pflegt. Den Eindruck, daß das Klavierkonzert ein wenig eklektizistisch ist, in seinen kurzen, aufsteigenden Läufen und schnellen Wiederholungen nach Saint-Saëns klingt, in leicht wuchtigen Akkorden ein bißchen nach Brahms, erklärt vielleicht, weshalb es hinter dem idiomatisch »eindeutigen« Cellokonzert so weit zurückliegt.
Um so mehr freut es, wenn es dann so respektvoll hervorgeholt wird, denn Dvořák betont nicht allein Wechsel zwischen Orchester und Solist, sondern verwebt beide innig miteinander oder läßt das Klavier mit Orchestersolisten verschmelzen. Dem Amalgam, das etwas mit Holzbläsern und Klavier entstand, fügte Maxim Emelyanychev im Orchester manche griffigen, süffigen Akzente hinzu und sorgte mit Betonung und Verlauf dafür, daß hier mehr als nur eine Begleitung des Solisten erkennbar wurde.
Anders als Martinůs Overtüre oder Dvořáks Klavierkonzert steht Ludwig van Beethovens siebente Sinfonie in fast jeder Spielzeit auf dem Programm (nur in der kommenden nicht, dafür gibt es Beethoven fünf). Solche Vergleichsmöglichkeiten können leicht heikle Situationen hervorrufen, doch Maxim Emelyanychev scheute sich davor offenbar nicht, war überzeugt von seiner Lesart und fand dafür im Orchester Unterstützung. Nicht nur die Sitzordnung, auch die insgesamt etwas kleinere Besetzung und Emelyanychevs Dirigat ohne Stab folgten der Beethoven-Zeit.
Im Werk suchte der Debütant nach Konturlinien und Gegenüberstellungen, nicht nur einfachen Kontrasten, und fand manches sonst verdeckte Detail oder hob es hervor wie das Fugato im Poco sostenuto. Tempi und Pausen schienen dennoch zuweilen etwas eigenwillig, weil sie den Fluß hier und da brachen. Aber vielleicht wollte Maxim Emelyanychev gerade der Falle entgehen, die sich auftuen kann, wenn man dem permanenten Beethoven’schen Furor aus Vivace und Allegro folgt und ihn ins uferlose steigern muß. Nein, Emelyanychevs Vivace enthielt noch viel Luft und barst noch lange nicht! Auch die Gelassenheit des Ausklangs (Presto) war ein Beispiel für den differenzierten Umgang – eine interessante Sichtweise, die man gerne erneut hinterfragen darf.
22. Juni 2025, Wolfram Quellmalz