Statt leichter Kost zum sommerlichen Ausklang präsentierten die »Meisterwerke« eine große Fuge
Ludwig van Beethovens dreizehntes Streichquartett, sein Opus 130, hat Zuhörer und Kritiker seinerzeit verstört. Zu mächtig, komplex, harmonisch zu verwegen, zu unerhört war das Werk, das der Komponist sich selbst nur noch vorstellen konnte – Mitte der 1820er Jahre war Beethoven nahezu ertaubt, wenn er nicht von störenden Scheingeräuschen geplagt wurde.
Und doch hat er mit seinem Streichquartett B-Dur ein Gipfelwerk geschaffen. Sechs Sätze umfaßt es und endete mit einer Großen Fuge, die ihrerseits mehrteilig ist – fast eine Stunde Musik! Doch keine eingängige für eine Quartettgesellschaft, sondern eine für Kenner und ein Fachpublikum, wie Marek Janowski meint. Die Auseinandersetzungen mit Verlegern, mit dem Schuppanzigh-Quartett und anderen Musikern hat dazu geführt, daß die Große Fuge mit Beethovens Einwilligung aus dem Quartett herausgelöst und als eigenständiges Werk (Opus 133) herausgegeben wurde. Für das ursprüngliche Quartett schrieb Beethoven einen alternativen Schlußsatz.

Soweit zur Theorie, die seit der Uraufführung zu musiktheoretischen Betrachtungen ebenso angeregt hat wie zu erzählerischen Verwebungen, etwa im Film »Saiten des Lebens« (2012).
Marek Janowski hat in seiner zweiten Amtszeit als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, in die das Beethoven-Jahr 2020 fiel, die Sinfonien des Komponisten nicht zyklisch aufgeführt (derer Zyklen hatte es in den Jahren zuvor bereits drei gegeben), sondern mit Gegenüberstellungen ausgewählter Werke für besondere Einsichten gesorgt. Schon damals gehörten Streichquartette zu den Eckpunkten, den Lichtreflexen, mit denen er den Beethoven’schen Kosmos absteckte.
Am Wochenende kehrte Marek Janowski für das Sommerkonzert der Reihe Meisterwerke – Meisterinterpreten zurück, um in der Pillnitzer Weinbergkirche erneut Beethoven zu betrachten. An einem der heißesten Tage des Jahres gab es statt eines Ausklangs mit luftigen Suiten und unterhaltsamer Musik Beethovens Opus 130 in der Urfassung. Den »mutigen Entschluß«, sich diesen »abenteuerlichen Nachmittag« (Janowski) zuzumuten, hatten viele gefaßt, so daß die Weinbergkirche bis in die Emporen dichtbesetzt war.

Sie bekamen letztlich alles, denn sogar Ausschnitte aus dem alternativen Schlußsatz erklangen, nun als Einleitung in den Nachmittag. Marek Janowski führte danach durch die Große Fuge, legte nicht nur seine Gedanken offen, sondern ließ die Fuge immer vom Jeanquirit Quartett (Eva Dollfuß und Yuna Toki / Violinen, Matan Gilitchensky / Viola und Matthias Wilde / Violoncello) anspielen, führte zu Themen, Betonungen oder der Wiederkehr von Strukturen. Damit blieb er nicht nur bei theoretischen Betrachtungen über Intervalle, Nebenfiguren und Formeln, er vermittelte Beethoven so verständlich, daß man es nicht nur im Augenblick nachvollziehen konnte, sondern daß es eine Stunde später, als das Werk im ganzen erklang, noch gegenwärtig war. Für viele dürfte schon diese »Sicht von innen« des Dirigenten ein Erlebnis gewesen sein.
Nach dem Theorieteil und der Pause begann das eigentliche Quartett erst nach über einer Stunde – Eva Dollfuß ließ das Geläut der Weinbergkirche ausklingen, soviel Ruhe mußte sein. Und auch Andacht, die viel Energie enthielt, manchmal dosiert, damit das Cello frei singen konnte, manchmal in kleinen fugierten Abschnitten, die wie aus der Ferne zu kommen schienen. Das Jeanquirit Quartett, dessen rätselhafter Name vielen Besuchern Denkanstöße gab, stellte schon im Prélude des Adagio eine Spannung her, die bis zum Schluß halten sollte. Und das durchaus nicht, weil eine Anspannung geherrscht hätte – im Gegenteil! Das Allegro des ersten Satzes lebte von fein ausformulierten Phrasen, das Presto blieb luftig pointiert wie ein Scherzo, im eigentlichen Poco scherzando offenbarten sich danach Spuk und Scherz. Nichts davon war jedoch aufgesetzt oder dem Werk aufgezwungen.

Tänzerisch und liedhaft blieben die Sätze verflochten, führten dunkel und dicht in die Cavatina, an die sich die Große Fuge anschloß. Wie sauber sie artikuliert und balanciert war, ließ ahnen, wieviel Probenarbeit in der Vorbereitung gesteckt haben muß! Und so konnte man all das, was Marek Janowski zuvor besprochen hatte, und seien es versteckte Betonungen, wiedererkennen. Zwei Stunden Beethoven, aber kein bißchen strapaziös!
23. Juni 2025, Wolfram Quellmalz
In der neuen Spielzeit werden die Meisterwerke den Quartettgedanken fortführen, denn im nächsten Jahr wird nicht nur das Marmen Quartet erwartet, gleich im nächsten Konzert (26. Oktober) wird das Jeanquirit Quartett selbst mit einem Komponisten anschließen, der von Beethovens Opus 130 stark beeinflußt war: Felix Mendelssohn.