Götter- oder Ämter(un)sinn?

Münchner »Don Giovanni« bleibt hinter der eigenen Idee zurück

Viele Festspiele sind in unserer Zeit entstanden, also in den letzten 30, 40 …70 Jahren, einige wenige bestehen aber schon viel länger. Die Münchner haben mit ihren Opernfestspielen gegenüber den fränkischen Nachbarn aus Bayreuth die Nase sogar knapp vorn: die Bayerische Staatsoper feiert in diesem Sommer 150 Jahre Münchner Opernfestspiele (Bayreuth ist erst im kommenden Jahr dran).

Wie immer gehören neben den aktuellen Produktionen in einer hochkarätigen Besetzung Konzerte, Liederabende und Ballett zum Programm. Außerdem liegen die letzten Premieren der Saison in der Festspielzeit. In diesem Jahr gab es am Freitag vergangener Woche zunächst mit Wolfgang Amadé Mozarts »Don Giovanni« einen Klassiker, am 18. Juli steht mit Gabriel Faurés »Pénélope« noch eine Rarität auf dem Programm. Bei Mozart gaben GMD Vladimir Jurowski und Regisseur David Hermann den Ton an. Doch die Inszenierungsidee oder Adaption war auch am Montag noch nicht so weit eingespielt, daß sie überzeugt hätte: Hermann hat dem Stück zwei stumme Rollen hinzugefügt. Pluto als übergeordnetem Gott oder Herrscher sowie dessen (erzwungene) Gattin Prosperina, die jedes Jahr einige Monate auf die Erde darf. Dort schlüpft sie nach David Hermann in den Körper von Don Giovanni.

231 Frauen »hatte« Don Giovanni allein in Deutschland – Leporello (Kyle Ketelsen) erklärt Donna Elvira (Samantha Hankey) die Lage, Photo: Bayerische Staatsoper © Geoffroy Schied

Nur – wozu? Die Idee erweist sich als nicht tragfähig, dem Etikettenschwindel fehlt es an Beweiskraft und Glaubwürdigkeit. Vor allem haben Pluto (Andrea Scarfi) und Prosperina (Erica D´Amico) im Grunde nichts zu tun. Ihr Agieren – Prosperina »entschlüpft« ab und zu Don Giovanni und schlüpft wieder zurück – hat im Stück keinerlei Konsequenz, eröffnet weder eine weibliche noch eine »andere andere« Perspektive. Und beider Dialog – nur als Text eingeblendet, da es ja stumme Rollen sind – ist szenisch nicht integriert. Dafür verstellt die Regie Deutungsansätze in bezug auf Don Giovanni, der wohl ambivalentesten Figur des ganzen Stücks. Nur ein »Schwerenöter« ist der ja keineswegs, sondern gibt Frauen »jeden Alters und jeder Schicht« etwas, was ihnen bei anderen mangelt. Nach David Hermann bleibt aber unklar, wer Don Giovanni »steuert«, wer hinter seinen Missetaten steckt – er oder Prosperina?

Das Bühnenbild (Jo Schramm) macht es nicht einfacher, gibt sich modern und kühl – irgendwie kennt man das nicht nur, es ist allzusehr »in Mode«. Insofern geht es trotz manchen Bühnengags, wenn es bei Don Giovanni aussieht wie auf einem Amt (incl. Kasten zum Nummer ziehen) oder in einer Vollzugsbehörde, eher trostlos zu. Immerhin bringen die Kostüme von Sibylle Wallum einige Farbe ins Spiel, doch die öde Modernität der Kulissen bleibt, auch wenn sich die Szenen mit vielen offenen Bühnenfahrten und Drehungen um alle Achsen horizontal und vertikal beeindruckend wandeln.

Verführt und rachelüstig: Donna Anna (Vera-Lotte Boecker) will Don Ottavio (Giovanni Sala) für ihre Vergeltung einsetzen, Photo: Bayerische Staatsoper © Geoffroy Schied

Musikalisch wurde es da schon um einiges anregender, nicht zuletzt, weil Wladimir Jurowski einige Fragmente aus anderen Mozart-Werken eingefügt und kompositorisch miteinander verbunden hat. Das sind keine auffälligen Stücke, sondern meist Überleitungen und im wesentlichen gekonnt. Dem begleitenden Hammerklavier für die Rezitative hat er noch ein Violoncello beiseite gestellt. An sich eine schöne Idee, die eine zusätzliche emotionale Linie aufnimmt, doch auf die Dauer wirkt dieser Ton mitunter jammernd oder wird zu viel, etwa wie eine Liedbearbeitung, bei der das Klavier um einen gesanglicher Bläser erweitert wird.

Das Bayerische Staatsorchester wirkt unter Jurowskis verhältnismäßig füllig, aber trotzdem agil. Das paßt gar nicht so schlecht zum düsteren Duktus des Stückes und seiner romantischen Auffassung, am Montag gab es dafür trotzdem einige Buhs aus dem Publikum.

Die Haben-Seite wurde wesentlich durch die Besetzung aufgewertet. Konstantin Krimmel fand in der nicht einfachen Figurenauslegung als Don Giovanni zu einer charmanten Darstellung, auch wenn ihm ausgerechnet die Champagner-Arie etwas trocken geriet. Dafür war sein Ständchen (Canzonetta mit Mandoline: »Deh, vieni alla finestra, o mio tesoro« / »Komm zum Fenster, o mein Schatz«) um so süßer und verführerischer.

Beeindruckend gelangen die drei Damen Donna Anna (Vera-Lotte Boecker), Donna Elvira (Samantha Hankey) und Zerlina (Avery Amereau), die ihre Leidenschaften zwischen Rache und Mitleid feurig glühen ließen. Gerade ihr Verständnis für Don Giovanni ließ die »Echtheit« der Regieidee auffliegen.

Don Giovannis Tribunal oder Höllenkreis? DonnaAnna (Vera-Lotte Boecker), Donna Elvira (Samantha Hankey), Zerlina (Avery Amereau), Leporello (Kyle Ketelsen), Don Ottavio (Giovanni Sala), Masetto (Michael Mofidian), Photo: Bayerische Staatsoper © Geoffroy Schied

Mit Christof Fischesser als Komtur war dem Stück ein stimmlich prächtiger, szenisch, aber vorhersehbarer Schluß gegeben, Don Ottavio (Giovanni Sala) beeindruckte mit Timbre und Präsenz und stand in seiner Leidenschaft der Verlobten Donna Anna in nichts nach. Gleiches galt für Michael Mofidian, der Masetto mehr Menschlichkeit verlieh als nur das Abziehbild eines eifersüchtigen Bräutigams zu sein. Dagegen hatte Kyle Ketelsen (Leporello) einen schweren Stand, denn Balance, Kraft und Klang allein genügten nicht – lag es auch hier an der Figurenauslegung? Da fehlte es an Schalk! Statt dessen wirkte er wie ein Papageno ohne Witze, ein unzuverlässiger Diener ist er noch dazu – wer wollte sich von ihm die Frauen vorzählen lassen?

1. Juli 2025, Wolfram Quellmalz

»Don Giovanni« gibt es bis zum Ende der Münchner Opernfestspiele (31. Juli) in dieser Besetzung, im Januar übernehmen Constantin Trinks (Musikalische Leitung), Julian Prégardien (Don Ottavio) und Julia Kleiter (Donna Elvira).

Ein Kommentar zu „Götter- oder Ämter(un)sinn?

  1. Hier mal ein Kommentar von einer „Frau“.

    Ich finde, die Ausgangslage verändert sich grundlegend, wenn man weiß, dass Proserpina in Don Giovannis Körper steckt. 

    Hier wird spielerisch und ironisch hinterfragt – Ist es am Ende wirklich so anders?

    Wenn wir plötzlich erwarten, dass sich eine „Frau“ in bestimmten Momenten anders verhalten müsste (empathischer?, zurückhaltender? moralischer?), dann entlarvt das nicht das Stück, sondern vor allem unsere eigenen Denkmuster und Klischees. Es zeigt, wie tief unsere Erwartungen an Geschlechterrollen verankert sind.

    Auch beim Bühnenbild (Jo Schramm) sehe ich die Dinge anders. Die kühle, funktionale Ästhetik schafft für mich einen gestalterischen Clou: Das sachliche Setting steht im Gegensatz zur emotionalen Überzeichnung der Figuren und macht das Groteske an Don Giovannis Welt umso sichtbarer.

    Mein Fazit nach der zweiten Vorstellung und vor allem, weil viele KritikER das anders sehen: Als junge Theatergängerin bin ich noch dankbarer für innovative! Mutige! Interpretationen wie diese!

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