Internationale Orgelwochen eröffnet
Immer während der Sommerferien wächst der Dresdner Orgelzyklus zu den Internationalen Dresdner Orgelwochen. Die Gastorganisten kommen nicht nur dem Anspruch der Internationalität gemäß aus verschiedenen Ländern, oft bringen sie ihre eigene Literatur mit oder interpretieren die »hiesige« auf ihre Weise. Für Felipe López aus Madrid traf beides gleichzeitig zu, doch er steht trotzdem in einer deutschen Orgel(schul)tradition: als Kind vom Klang einer Orgel beeindruckt, entschied er sich später zu einem Studium und kam nach Stuttgart zu Ludger Lohmann, bei dem Kreuzorganist Holger Gehring, der am Mittwoch wieder als Gastgeber in die Kreuzkirche eingeladen hatte, wenige Jahre nach ihm studierte. Gerade im April hatte beider Lehrer im Rahmen des Orgelzyklus‘ am Haus ein Konzert gegeben [NMB berichteten: https://neuemusikalischeblaetter.com/2025/04/03/das-wird-den-meisten-von-ihnen-nicht-gefallen/%5D.
In Spanien, erzählte Felipe López im »Gespräch unter der Stehlampe« habe sich im Studium der Organisten viel verändert, es sei heute weit besser als noch vor zwanzig Jahren. Eine Ausbildung als Kirchenmusiker dagegen gebe es nach wie vor nicht. Dies sei man quasi per Amt, wenn man eine Stelle habe und den Bedürfnissen der Gemeinde und des Pfarrers folge. Was aber nicht bedeute, daß es viele Organisten gebe und diese die Kirchenmusik wesentlich trügen – im Raum Madrid mit immerhin 5 Millionen Einwohnern arbeiten etwa sechs hauptamtliche Organisten.

An den Anfang seines Programms hatte Felipe López kein spanisches, sondern ein französisches Werk gestellt, den Grand dialogue aus dem 3e Livre d’Orgue von Louis Marchand. Ein beeindruckendes Stück, das mit einer hymnischen Geste beginnt, aus dem eine schillernde tänzerische Suite erstand. Allerdings nicht in einer Satzfolge, sondern einer phantasievollen, phantastischen Gesamtheit. Die Dialoge beziehen sich nicht nur auf Melodieteile im Sinne einer ersten und zweiten Stimme, sondern ebenso auf die antwortenden Register und sinfonische sowie konzertante Elemente. Die Meisterschaft des Stückes macht Marchands angebliche Flucht vor einem »Orgelduell« mit Johann Sebastian Bach wenig glaubhaft und gibt Anlaß zur Annahme, daß hier vielleicht die epigonal ausgeschmückte Erzählung größeren Anteil an der Legende hat als tatsächliche Umstände. (Läge es nicht näher, Louis Marchand habe sich beeilt, der Einladung eines bretonischen Freundes zu Austern und Champagner nachzukommen?)
Mit Sebastián Aguilera de Heredia Tiento lleno de 4º tono sorgte Felipe López für einen zeitlich noch früheren und nun auch spanischen Beitrag. Die Tiento ist eine Form, die zwar Elemente eines Präludiums, eines Ricercars oder einer Toccata aufweist, insgesamt aber freier ist. Nach der noch streng klingenden, fugierten Einleitung ließen sich zwar kontrapunktische Passagen erkennen, doch im ganzen glich das Renaissancestück eher einer Toccata-Phantasie, die mit Steigerungen abschloß – eine Bereicherung!
Dagegen schien das Choral-Präludium »Valet will ich dir geben« (BWV 736) von Johann Sebastian Bach geradezu sittsam und schlicht, im Grunde fade. Felipe López Vortrag beeindruckte gerade mit der Freiheit seiner Interpretation, Ausdruck und Stimmung waren ihm wichtiger als präzise Artikulation, was an bei Bach am deutlichsten spürte. Dafür waren die polyphone Läufe in der Fuge aus Praeludium und Fuge G-Dur (BWV 541) besonders hervorgehoben.
In seinem Lauf durch die Jahrhunderte band der Organist aber nicht alles zusammen, chronologisch wies sein Konzert einige Lücken auf, was es ermöglichte, statt eines allmählichen Wandels ausgewählte Schwerpunkte darzustellen. Und die lagen nach dem frühen 18. Jahrhundert nun bei Max Reger. Das Intermezzo sowie die Toccata aus den Orgelstücken Opus 59 erweckten aber keinen schulmäßigen, sondern verblüffenden Eindruck. Die Klangwelt schien nach Bach vollkommen anders, harmonisch gewagt, teils fragil oder sogar impressionistisch, woraus eine strahlende Klangfarbe erwuchs. Wer hätte so viel Extravaganz bei Reger vermutet?
Dies ließ sich mit vier Stücken Louis Viernes noch um eine expressive Darstellung erweitern. Cortêge, Impromptu, Canzona und Hymne au soleil (aus den Pièces en style libre Opus 31, 54, noch einmal 31 und 53) verbanden virtuose Läufe mit sinfonischer Gestaltung und Kantabilität. Modulationen und Wellenmotive sorgten noch einmal für impressionistische Eindrücke. Mit ein paar Renaissanceperlen von Jan Pieterszoon Sweelinck bedankte sich Felipe López für den Applaus.
3. Juli 2025, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Konzert bei den Internationalen Dresdner Orgelwochen (9. Juli) spielt Adriaan Hoek (Rotterdam) in der Frauenkirche.