Szenisches Podium an der Musikhochschule
Zusätzlich zu den normalen Klassenabenden bzw. Podium-Veranstaltungen häufen sich derzeit die Abschlußkonzerte und -prüfungen einzelner Studenten an der Musikhochschule. Vieles ist öffentlich, ein Blick in den Veranstaltungskalender der HfM oder die Aushänge lohnt.
Am Donnerstag waren Studentinnen des vierten Studienjahres Gesang in einem Szenischen Podium »Zwischen Wut, Schmerz, Hoffnung und Liebe« zu erleben. Für drei von ihnen war es die Abschlußprüfung für den Bachelor. In der szenischen oder dramatischen Ausbildung geht es unter anderem darum, Ausschnitte aus Opern und Operetten darzustellen. Das bedeutet einerseits, für »von null auf hundert« gehen zu können (weil die Szenen zur Entwicklung ja fehlen), andererseits wollte Prof. Susanne Knapp, welche die Szenische Leitung innehatte, diesmal einen besonderen Aspekt der Emotionalität herausfordern: Gefühle glaubhaft darstellen, was damit beginnt, daß die Darsteller selbst davon überzeugt sei müssen. Wie zum Beispiel vermittelt man die Liebe oder Zusammengehörigkeit zweier Menschen, wenn einer der beiden gerade allein auf der Bühne ist?

Den Ablauf der Szenen sowie die Überleitungen gestalteten die Studentinnen übrigens selbst, und sie hatten sich in ihrem höchst wechselhaften Programm für ein Präludium ohne Musik entschieden, bei dem nur Äpfel geschnitten und Apfelschnitze gegessen wurden. Die Gruppe war aber dieselbe wie für zwei Ausschnitte aus Benjamin Brittens »Turn of the screw«. Das Lied von Master Miles (dargestellt von Sarah Rößner und Hannah Geef) »Malo: I would rather be« bzw. dessen Motiv gehörten zu den bindenden Gliedern zwischen den einzelnen Szenen. Hier, bei Britten, wurde eine spukhafte Bedrohlichkeit deutlich, die Angst, welche die Beteiligten (außerdem das Mädchen Flora / Marlene Walter und die Governess / Sarah Keller) ganz unterschiedlich spüren. Während Miles mit dem schlechten spielt und provoziert (er weiß kaum, worum es geht), sorgt sich seine Schwester vor dem ungewissen, die Gouvernante ahnt dagegen eine konkrete Gefahr.
Singen allein genügt also nicht, um Emotionen darzustellen. Diese lassen sich im Spiel nicht zuletzt durch Mimik oder zum Beispiel durch ein Zittern vermitteln. Aber auch pantomimisches Spiel oder ein stiller Partner können helfen. In Paminas Arie aus »Die Zauberflöte« (Hannah Geef) wirkte Marlene Walter im stillen Kontrepart als Tamino mit.

Nicht nur »von null auf hundert«, sondern zurück, auf minus 90 Grad oder von Äpfeln zu Rüben ging es am Donnerstagabend, an dem mitten zwischen den beiden düster-phantastischen Britten-Auszügen die Tirolienne aus Franz von Suppés »Zehn Mädchen und kein Mann« zu hören war. Ein burlesk-frecher Ausschnitt mit Animationsvorspann – die Operette war einst ein großer Erfolg in ganz Europa, aktuell kennt selbst operabase.com keine Aufführungstermine. Aber was lustig aussehen soll, erfordert in der Regel akribische Präzision. Vor allem, wenn mehrere Personen im Einsatz sind und sich sportlich betätigen, muß der Ablauf stimmen – gesungen werden soll nebenbei ja auch noch.
Darüber hinaus gab es konzentrierte Szenen, bei denen die Musik als Träger von Gefühlen stärker hervortrat. Dann schlüpfte Milko Kersten (Musikalische Leitung) auch einmal mit ans Klavier zu Ula Barnasz, um vierhändig das Orchester zu ersetzen und die Emotionalität zu verdichten.
Insofern war Marzellines Arie aus »Fidelio« (Beethoven) mit Sarah Keller ein sehr konzentrierter Höhepunkt. Gleich im Anschluß (nächster »Sprung«) ließ sie als Susanna mit Sarah Rößler, welche nun die Marcellina aus Mozarts Figaro spielte, die Funken fliegen bzw. stritten die beiden inbrünstig um eine Männer-Unterhose (oder ging es um mehr?).

Manchmal gab es den Spagat zwischen Grusel und Frohsinn bzw. Angst und Spaß sogar mitten in der Szene, wie mit Marlene Walter als Ännchen, die der zaudernd-ängstlichen Braut Agathe (Sarah Rößler) in Webers »Freischütz« ihre Gespenstergeschichte darbot.
Den größten Witz und die meiste Raffinesse hatte sicherlich ein letzter Mozart-Ausschnitt. Für »Il re pastore« gab es zwei Paare (Elisa: Hannah Geef und Marlene Walter, Aminta: Sarah Keller und Sarah Rößler), die sich fließend abwechselten. Während das eine Paar ins Szene war, blieb das andere »eingefroren«, bis sie am Ende noch die Partner tauschten. Agilität gehört eben zum szenischen Spiel!
8. Juli 2025, Wolfram Quellmalz