Zeitreise beim Erzgebirgischen Orgelsommer

Paolo Oreni in Pfaffroda

Wenn in einem Konzert die Orgel um eine Stimme oder ein anderes Instrument ergänzt wird, spricht man im allgemeinen von »Orgel plus«. Beim Erzgebirgischen Orgelsommer müßte man aus dem Plus ein Multiplikationszeichen machen, denn hier gibt es nicht nur Orgelführungen bzw. -einführungen, sondern auch vieles zur jeweiligen Kirche zu erfahren. Eine engagierte Gemeinde macht die Nachmittagskonzerte zu einem lohnenden Ausflug aufs Land in bester Stimmung. Am vergangenen Sonnabend empfing die kleine Dorfkirche von Pfaffroda zahlreiche Besucher mit Musik, Gespräch und nicht zuletzt Kaffee und Kuchen zwischen der Orgeleinführung und dem eigentlichen Konzert.

Nicht von Silbermann: Zimbelstern der Silbermann-Orgel in Pfaffroda, Photo: NMB

Das Kirchlein St. Georg steht auf Grundfesten, die (mindestens) bis ins Jahr 1206 zurückreichen. Auch die Orgel ist eine alte, bemerkenswerte. Als eine der ersten von Gottfried Silbermann (Opus 8) ist sie seine dritte eigene (ohne die Gemeinschaftsarbeiten mit Bruder Andreas) und die zweitälteste erhaltene Silbermann-Orgel. Das 1715 fertiggestellte Instrument ist dazu die erste sächsische Dorforgel Gottfried Silbermanns, die innerlich wie äußerlich sichtbar durch Besonderheiten die frühe Phase zu erkennen gibt. So weist Jan Katzschke, der Organisator des Erzgebirgischen Orgelsommers, unter anderem auf das Cornet-Register hin, das – kurz nach der Rückkehr aus Straßburg – noch viel französischer klingt als in späteren Orgeln Silbermanns. Auch durfte die Orgel ihren Zimbelstern behalten – bei Silbermann waren jegliche Effektregister verpönt und er baute sie bei späteren Orgeln aus, so sie in den Vorgängerwerken noch vorhanden waren.

Kantorin Sung-Rim Park führte zur Orgel und zum Werk Albert Schweizers ein, Photo: NMB

Zunächst versorgte Sung-Rim Park, seit drei Jahren Kantorin im Kirchspiel Olbernhau, die Besucher mit Daten zur Geschichte der Kirche und der Orgel und erklärte, was die Musik Johann Sebastian Bachs für Albert Schweizer bedeutet hatte. Drei Auszügen aus Werken Bachs gaben einen nachhaltigen Klangeindruck. In manchem erwies sie sich dabei kundiger im Umgang mit der Akustik als der ihr folgende Gastorganist. Während die Fantasia c-Moll (BWV 1121) Silbermanns typisches Strahlen vorführte, bewies die Fuge g-Moll (BWV 578.2), wie harmonisch er noch in der Schlußwendung scheinen kann.

Paolo Oreni aus Mailand war bereits mehrfach an Orgeln der Region zu Gast, eröffnete zum Beispiel vor zwei Jahren auch den Internationalen Dresdner Orgelsommer mit einem leidenschaftlichen Konzert [NMB berichteten: https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/07/10/geh-aus-mein-herz-und-fange-feuer/%5D. Für Pfaffroda hatte er sich für Antonio Vivaldi entschieden bzw. Johann Sebastian Bach, unter dessen Bearbeitungen von Concerti des Venezianers sich auch das Concerto in D (BWV 972 nach RV 230) findet. Allerdings führte dies auch eine Eigenschaft Silbermanns vor Ohren, die manche »brutal« finden: seine ungeheure Strahlkraft. In einem Video des Silbermann-Museums Frauenstein nimmt Orgelbaumeister Kristian Wegscheider darauf Bezug, der die Eigenschaft »brutal schön« nennt. Soll heißen: auch die schönste Klangpracht will sorgsam ertastet werden. Paolo Oreni führte sie sehr eindringlich vor, dazu blieb er im »Violintempo«, das sich auf der Orgel jedoch als zu schnell erwies. Die Artikulation litt darunter, auch bei fünf Sonaten Domenico Scarlattis, die an sich eine interessante Entdeckung waren. Denn natürlich sind sie original nicht für die Orgel gedacht, sondern für ein silbern perlendes, höfisches Cembalo. Zwar sorgte eine Sonate f-Moll im gelassenen Andante für Entspannung, im folgenden D-Dur wirkte das Pedal jedoch bereits wieder zu mächtig, das abschließende Stück in C-Dur zu grell.

Paolo Oreni mit Hanne Tautorus, Geschäftsführerin der Silbermann-Gesellschaft, Photo: NMB

Sechs der Neumeister-Choräle Johann Sebastian Bachs behielten zwar den kräftigen, strahlenden Ausdruck, hier fand Paolo Oreni in den Registern aber manche menschliche oder dem Chor nahekommenden Stimme. In »Herzlich lieb hab ich dich, oh Herr« (BWV 1115) schärfte zudem die Kontrapunktik die Konturen. Mit Auszügen aus Georg Friedrich Händels Wassermusiksuite Nr. 1 fanden in die Klangwelt von Paolo Oreni und Gottfried Silbermann vor allem im »Feuerwerk« der Hornpipe besser zueinander.

Für einen vergnüglichen Ausklang sorgte ein improvisiertes Potpourri. Paolo Oreni hatte sich vom Publikum zahlreiche Motive zurufen lassen und verband »Von guten Mächten«, »Geh aus mein Herz«, Pachelbels Canon und noch ein paar andere Melodien zu einem unterhaltsamen Medley.

5, 6, 2, 3, 4, 1, 9, 10 … – für die Anordnung der Bankreihen in Pfaffroda gibt es sicher eine historische Begründung (Rückmeldungen werden gerne entgegengenommen), Photo: NMB

Die letzten beiden Veranstaltungen des Erzgebirgischen Orgelsommers finden am 27. Juli in Eppendorf (Goethel-Orgel) und am 16. August in Cämmerswalde (Oehme-Orgel) sowie Nassau (Silbermann-Orgel) statt. Unbedingt empfohlen sei den Lesern aber die neue CD »Himmel auf Erden«, die Jan Katzschke an der Silbermann-Orgel Forchheim unter Mitwirkung von Ulrike Titze (Violine) aufgenommen hat (erhältlich über die Internetseiten unten sowie die beteiligten Kirchspiele).

13. Juli 2025 Wolfram Quellmalz

CD-Tip:
»Himmel auf Erden«, Silbermann-Orgel Forchheim, Werke von Kuhnau, Pachelbel, Krieger, Walther, Beyer, Erselius und Bach, mit Jan Katzschke (Orgel) und Ulrike Titze (Violine)

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