Organistin Amelie Held in der Dresdner Hofkirche
Für das Konzert des Dresdner Orgelzyklus am Mittwoch hatte Domorganist Sebastian Freitag eine junge Kollegin eingeladen, die sich nicht nur auf der Orgel von Alter bis Neuer Musik auskennt, sondern auch auf der Violine. Insofern ist Amelie Held vielleicht mehr als viele Komponisten, die »nur« am Klavier sitzen, geeignet, Bachs Chaconne aus der Violin-Partita BWV 1004 auf die Orgel zu übertragen. Sebastian Freitag hatte das Stück bereits selbst in seinen Programmen gehabt, zuletzt im Kulturpalast (November 2024), nun erklang es quasi aus erster Hand auf der Silbermann-Orgel der Hofkirche.
Zuvor eröffnete Johann Gottfried Müthels Fantasie F-Dur den Reigen und sensibilisierte die Ohren für die Zeit der Bach-Söhne. Die Fantasie wird einerseits von Fanfarenmotiven belebt oder bekräftigt, andererseits verband sie diese Motive bereits mit geflochtenen Verzierungen – solches Gegenüber bzw. Miteinander war nur ein Attribut, das den Abend kennzeichnen sollte. Ein anderes lag in den Variationen, die teils als solche wie bei Felix Mendelssohn benannt waren, vor allem aber in Form der Chaconne bzw. Ciaconna auftraten. Denn Bach hatte sich ausdrücklich auf die italienische Form und deren Herkunft als Tanzsatz auf Cembalo oder Laute bezogen. In seinen Variationen sorgt er für einen stetigen Wandel mit Steigerung, der mit Skalen, Läufen, Lagenwechseln und allem, was auf der Violine grifftechnisch möglich ist, dem Spieler alles abverlangt. Amelie Held hat in ihrer Bearbeitung der Ciaconna diesen Violingestus wunderbar erhalten (wie die leicht verschliffenen Übergänge der Lagenwechsel) und mit dem Orgelbaß verbunden. Ihr eigener Vortrag begann mit der lerchenhaften Leichtigkeit einer Geige, ließ im Verlauf aber die Synthese der beiden Stimmen von imitierter Violine und Orgel immer stärker wachsen und nutzte die gesamte dynamische Bandbreite, jedoch – wie im Original – nicht in einem stetigen Anstieg, sondern differenzierten Kontrasten bis hin zu herausstechenden Spitzentönen der »Violine«.
Solch ein Gipfelwerk braucht eine passende Erwiderung, ein ebenbürtiges Stück oder einen neuen Kontrast. Mit Georg Muffats Ciacona (aus »Apparatus musico-organisticus«) ging es zeitlich noch einmal eine Generation zurück, und wieder belebte das Gegenüber von Melodie – hier mit Flöten bzw. Vogelstimmen – und einem geflochtenen Zierwerk dazwischen. Während Bachs Ciaconna vor allem einem Gedanken des Wachstums folgt, bleibt Georg Muffats Variante zierlicher, leichter, betont dafür freier, virtuoser und individueller die Eigenständigkeit der Variationen wie Charaktere.

Nach diesem zeitlichen Rückschritt ging es um zweieinviertel Jahrhunderte nach vorn: Selbst im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘, wo Sigfrid Karg-Elert zwar nicht oft, aber regelmäßig zu hören ist, dürfte »A cycle of 8 short pieces« eine Überraschung gewesen sein. Denn in seine Phantasie, Vielfalt und Extravaganz löste es sich deutlich von der Formenstrenge manch anderer Werke des Komponisten. Im Gegensteil spielte Karg-Elert darin mit den Stilen seiner Zeit. Amelie Held ließ den Introitus unter einer dämpfenden Umhüllung schimmern, zog für die Gagliarda diesen Hüllschleier weg, so daß sich der Tanzsatz strahlend, aber nicht grell ausbreitete, bevor Melodia monastica und Aria semplice lyrisch und schlank bzw. als arioses Solo unterschiedliche Formen der Kantabilität vorführten. Appassionata offenbarte die Welt sinfonischer Klänge, bevor die Silbermann-Orgel in der Canzona solenne wie ein Chor klingen durfte. Toccatina und Corale blieben als Schlußsätze verbunden, wobei Karg-Elert gerade für die Toccatina eine moderne Fassung gefunden hatte, natürlich bewahrte der Coral den Chor – gesangliche Aspekte waren ebenso ein prägendes Merkmal in Amelie Helds Spiel.
Felix Mendelssohns Andante mit Variationen D-Dur klangen darauf – nach der Raffinesse der Short pieces – durchaus etwas schlicht. Vielleicht als Beruhigung gedacht, fehlte dem Stück im Vergleich das Spektakuläre, der Höhepunkt.
Den bot Wolfgang Amadé Mozarts Fantasie KV 608. Ursprünglich für eine »Orgelwalze«, also einen Spielautomaten geschrieben, vereint sie doch virtuos die Fuge und die freie Form. Im Wechsel von systematischem Aufbau und süßem Adagio bleibt Mozart nicht allein beim Fugenthema: Dort, wo Bach kunstvollst und meisterlich eine Architektur erhebt, gewährt Mozart musikalische Freizügigkeit, die Amelie Held mit reicher Zierde vorzeigte.
17. Juli 2025, Wolfram Quellmalz
In der kommenden Woche spielt Ondřej Valenta (Prag) im Rahmen der Internationalen Dresdner Orgelwochen in der Kreuzkirche von Johann Sebastian Bach, Franz Liszt und Jiří Teml.