Beethovens verborgener Schatz und rhythmisches Verständnis

Lovre Marušić beim Pianoforte-Fest Meißen

Das Pianoforte-Fest Meißen lockt alljährlich interessante Pianisten in die Region, wobei einigen bereits namhaften besonders zwei Gruppen gegenüberstehen: die jungen, noch nicht bekannten Preisträger sowie die Professoren, die sich oft verstärkt der Ausbildung widmen und eher nebenbei konzertieren. Lovre Marušić verband beide miteinander: Der Preisträger des Beethoven-Klavierwettbewerbes Bonn 2023 bildet heute selbst an der Gustav Mahler Privatuniversität Klagenfurt den Nachwuchs aus. Einer seiner Professoren wiederum, Grigory Gruzman, war 2017 Gast beim Pianoforte-Fest Meißen.

Für sein Konzert am Freitag für den intimen Zirkel der Kenner und Liebhaber im THÜRMER Pianoforte-Museum hatte Lovre Marušić ein Programm mit Überraschungen zusammengestellt, und seine kurzen Moderationen waren gerade deshalb gelungen, weil sie die Stücke nicht erklärten, sondern persönliche Einblicke ermöglichten.

Der erste, ganz Ludwig van Beethoven gewidmete Teil begann mit den Bagatellen Opus 33. Die erste verband nach munterem Auftakt Beiläufigkeit in der Melodie und kecke Einwürfe mit grundierendem Baß, schon in der zweiten (Scherzo – Allegro) offenbarte sich eine zunehmende Spur Dramatik. Die Feinheit der Artikulation erlaubte Lovre Marušić im Allegretto erneut, eine Einfachheit mit dynamischer Spannung zu versehen, während das Andante zögerlich, aber nicht zaghaft ansetzte – die fünfte, gewollt etwas »poltrige« Bagatelle übertrumpfte es natürlich. Auch im Presto quasi andante führte der Pianist kein simples Mischwesen vor, sondern eine ambivalente Figur voller Spannung, bevor das abschließende Presto, erst dräuend und mit Baß-Schlag, wie eine Ankündigung schien – »Vorhang auf, jetzt kommt die Sonate« hieß es wohl.

Lovre Marušić am vergangenen Sonnabend im THÜRMER Pianoforte-Museum, Photo: NMB

Die Sonate? Mitnichten, denn das Werk ohne Opuszahl (WoO) Nr. 47 Es-Dur zählt eben nicht zu den 32 Klaviersonaten Ludwig van Beethovens. Vielmehr ist es eine der sogenannten »Kurfürstensonaten«, die Beethoven im jugendlichen Alter schrieb. Noch ganz klassisch, vielleicht wenig revolutionär, aber tiefempfunden nahm der erste Satz die Gestalt eines Präludiums an, was die kürze des zweiten noch unterstrich. Das Rondeau vivace – ganz den überlieferten Formen hingegeben – mochte gar an Mozart erinnern. Wer hätte da allein dem Hören nach Beethoven als Autor vermutet?

Mit der Sonate für Klavier Opus 14 Nr. 2 G-Dur wandte sich Lovre Marušić dem Kreis der etablierten Stücke zu, mit erkennbar größerer Komplexität. Nicht allein der Klang schien dabei zu wachsen, der Pianist legte auch Wert auf rhythmische Prägnanz – ein Markenzeichen fast, wie sich im zweiten Konzertteil noch zeigen sollte. Im Andante mit seinem repetierenden Ton und den Wiederholungen übertrieb Lovre Marušić Beethovens Spaß nicht durch einen übermäßig dynamisierten Schlußakkord, sondern arbeitete die Charaktere der Variationen heraus. Die musikalische Vorwitzigkeit beließ er im dritten Satz: Scherzo. Andante assai – Beethoven war den doppelbödigen Bezeichnungen treu geblieben.

Wem die saubere Artikulation zu sauber, zu »artig« gewesen war, der wurde nach der Pause sozusagen wachgeküßt, denn mit Alexander Skrjabins Drei Etüden betrat Lovre Marušić ein Gebiet zauberhafter Miniaturen. Die erste (Opus 2 Nr. 1, cis-Moll) hatte der Komponist mit gerade fünfzehn Jahren geschrieben, wie Marušić verriet, was kaum zu glauben war, so tief beseelt zeigte sich das dunkle, ernsthafte Werk, in dem ein slawisches Lied zu schlummern schien. Mit Opus 42 Nr. 5 (»Affano« / atemlos) blieb Skrjabin in der gleichen Tonart, doch auf die Innenschau der ersten Etüde folgte ein extrovertierter, energetischer Flug. In b-Moll (Opus 8 Nr. 12) konnte Lovre Marušić dies noch einmal auf mitreißende Art steigern.

Womit Präzision und Virtuosität noch nicht ihren Gipfel erreicht hatten. Der folgte mit der Rhapsodie espagnole von Franz Liszt, in der der Komponist mit Glockenschlag und Donner beginnt und sein Temperament schießen läßt, als wolle er sich auf dem Klavier austoben, weil es abseits desselben nicht schicklich wäre. Dabei dynamische Verläufe zu gestalten, pointiert und angemessen zu bleiben, nicht überhitzt, verlangt vom Pianisten ziemlich viel, wenn nicht alles. Um so beeindruckender, wie Lovre Marušić dies mit spielerischer Leichtigkeit bewerkstelligte, und nicht die Puppen, aber die Zitate tanzen ließ. Von der Folia bis zu folkloristischen La-Jota-Tänzen spiegelten sich viele Erinnerungen darin und erinnerten zugleich an andere Werke, die solches phantasievoll verarbeiten (»Carmen«). Die virtuose Geläufigkeit nahm der Pianist nicht zum Selbstzweck, sondern stellte sie in den Dienst Liszts.

Und blieb bescheiden, auch in der Zugabe: Mit Schumanns »Träumerei« verabschiedete er das Publikum in den Sommerabend.

31. August 2025, Wolfram Quellmalz

Am 17. September spielt Geunpyo Park im Abschlußkonzert Werke von Mozart, Beethoven und Schubert. Danach gibt es in diesem Jahr noch ein Postludium: am 1. Oktober spielen Schüler und Studenten in der Ausbildungsrichtung Klavier (»folkwang junior zu Gast in Meißen«). Beide Konzerte finden in der Aula des Sankt-Afra-Gymnasiums statt.

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