Ungeheuer!

Collegium 1704 singt und leidet mit Polyphem

Im vergangenen Jahr hatte das Collegium 1704 seine Spielzeit in der Dresdner Annenkirche vor der Sommerpause mit einem Programm um »Il Polifemo« abgeschlossen, am Mittwoch war Bassist Luigi De Donato damit noch einmal im Prager Kulturzentrum Vzlet zu erleben. Natürlich ist das Programm nicht mit der Dresdner Aufführung identisch gewesen, sondern aus dem Fundus der damaligen Aufnahme neu zusammengestellt worden.

Natürlich stand wieder der Sänger im Mittelpunkt; einer, der nicht nur stimmlich beeindruckte, sondern mit Präsenz der Hauptperson Polifemo seinen Körper, seine Seele lieh. Wer war denn Polifemo? Ein menschenfressendes Ungeheuer, wie es uns Homer oder Odysseus glauben machen wollen? Oder ist auch dies ein Fall einer vom Sieger erzählten, ausgeschmückten Geschichte?

Blick von innen aus dem Collegium: Lautenist Jan Krejča, Václav Luks, Photo: Collegium 1704, © Petr Dyrc

Luigi De Donatos Polifemo zumindest konnte schon in Antonio Cestis Kantate »Amante gigante« (doppeldeutig: gigantischer Liebhaber) flehen und leiden und meldete Zweifel an der einseitigen Darstellung tierischer Grausamkeit Polifemos an. Schon der Beginn, mit kleiner Besetzung des Orchesters, hatte mit schleppendem Tremolo angekündigt, daß der mythologische Riese vom Leid der Liebe offenbar tief getroffen war. In »La Galatea«, einer dramatischen Serenata von Domenico Alberti und nun mit gewachsenem Collegium 1704 als Begleitung, mußte sich die Spannung nicht erst steigern, sie war von Anfang an spürbar. Mochte Polifemo in der ersten Arie noch in schwebendem Gesang die Schönheit des begrünten Berges (des Ätna) preisen – die Eifersucht, die ihn letztlich zum Mord an Acide trieb, lag bereits in der Luft.

Auch in kleiner Formation betörend: Collegium 1704, hier die Violinen (vorn: Konzertmeisterin Helena Zemanová), Photo: Collegium 1704, © Petr Dyrc

Das beeindruckende war jedoch (erneut), daß Luigi De Donato nicht einfach Zorn oder tobsüchtige Eifersucht darstellte, sondern Polifemos menschliche, verletzliche Seite offenlegte. Wenn dieser bei Alberti bekannte, daß seine Schmerzen nicht nur Wellen und Sand kennten, sondern den schönen Namen der Liebe erlernt hätten, wußte Luigi De Donatos dies mit bestechender Eleganz auszukleiden.

Wobei ihm die gesteigerte emotionale Ausdeutung allerdings noch besser lag. Immer dann, wenn sich der Baß vom Blick auf die Noten befreite, ging er noch mehr – stimmlich wie körperlich – aus sich heraus, wurde noch einfühlsamer oder aufbrausender, wie in Georg Friedrich Händels »Fra l’ombre e gl’orrori« (aus der Masque »Acis and Galatea« HWV 49a). Dort verdichteten sich in der Übertragung Schatten und Grausamkeit in einer unnachahmlichen, fast einmaligen Art, die den Bassisten in Tonsprünge bis in den Subbaß nötigte – Luigi De Donato bewältige den Parcours nicht nur höchst eindrucksvoll und sicher, er bewahrte noch in diesen »untersten Lagen« die Melodiösität und Sanglichkeit seiner Stimme – mit andere Worten: ein Baß, der nicht nur brummt und grummelt (das Stück ist Teil der Aufnahme). Da ließ sich das Publikum im Vzlet zu einem Zwischenapplaus hinreißen.

Von wegen Ungeheuer! Luigi De Donato als Polifemo, am Cembalo: Václav Luks, Photo: Collegium 1704, © Petr Dyrc

Natürlich »funktioniert« so etwas nicht ohne ein formidables Orchester. Václav Luks und sein diesmal schlankes Collegium 1704 (maximal je drei Violinen) standen De Donatos Ausdruck in nichts nach, konnten als Solostimme (Dagmar Valentová, Viola) kernig durchdringen und ebenso herrlich singen (Libor Mašek, Violoncello). Offenbar hat man im Barock das Cello noch zu schätzen gewußt oder wie es zu spielen ist – wie konnte später nur die Meinung über das »Stück Holz, das oben kreischt und unten brummt« entstehen?

Das Collegium war nicht nur ein feiner Begleiter des Gesang, Václav Luks hatte außerdem Instrumentalstücke ausgewählt, die das Programm ergänzten. Dazu gehörte ein Concerto des Venezianers Baldassare Galuppi, der oft so ungemein modern scheint, daß man ihn zuweilen in der Beethoven-Zeit verorten mag. Aber auch Francesco Durantes Concerto a quattro g-Moll erwies sich als Stück voller Liebreiz – als wolle Václav Luks dem Hirten, der Polifemo letztlich war, wenigstens ein musikalisches Schäferstündchen gönnen.

Luigi De Donato, Collegium 1704, Photo: Collegium 1704, © Petr Dyrc

Noch in der flexiblen Baßbegleitung, die einmal ganz schlank werden durfte, wenn nur noch die Laute von Jan Krejča zu hören war, begeisterte das Collegium 1704. So mußten letztlich drei Zugaben her – aus Porporas »Polifemo« (ebenfalls auf der CD), Händels »Orlando« sowie der Wiederholung einer Polifemo-Arie von Giovanni Bononcini.

Übrigens: Luigi De Donato ist im April wieder in Dresden zu hören, als Herode in Antonio Stradellas Oratorium »San Giovanni Battista«.

Nächstes Konzert im Vzlet: 22. Oktober, Spanische Virtuosen reisen durch Europa, Ensemble La Guirlande

Nächstes Konzert in Dresden: 8. Oktober

CD-Tip: Luigi de Donato, Collegium 1704, Václav Luks (Dirigent) »Polifemo«, mit Werken von Georg Friedrich Händel, Domenico Alberti, Giovanni Battista Bononcini, Marc (Pietro) Antonio Cesti, Antonio Caldara, Johann Georg Schürer und Nicola Antonio Porpora, erschienen bei Accent

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