Längst nicht alle Messen gelesen

Collegium 1704 in der Annenkirche

Responsori und Lamentationes von Jan Dismas Zelenka standen auf den Programmen der ersten Konzerte des Collegium 1704, bald folgte das Confitebor tibi Domine und weitere Werke im Rahmen der Musikbrücke Prag – Dresden. Doch trotz vielen folgenden Konzerten und Aufnahmen gab es am Mittwoch in der Dresdner Annenkirche eine Neubegegnung: Zelenkas Missa Circumcisionis II (ZWV 11) war nicht nur eine Wiederaufführung nach langer Zeit, sondern eine Dresdner Erstaufführung mit historischen Instrumenten.

Ensembleleiter Václav Luks freute sich in der Jubiläumssaison über die musikalische Freundschaft mit dem Publikum, die in den mittlerweile 18 Jahren der »Musikbrücke« in Dresden gewachsen ist. Für den Auftakt der neuen Spielzeit hatte er ein besonderes Werk Jan Dismas Zelenkas ausgewählt, denn die Missa Circumcisionis II ist ein sozusagen ereignisreiches Werk – voller Einfälle, gewitzter Wendungen und virtuoser Herausforderungen.

Insofern war es wieder verblüffend, zu erleben, wie homogen der Chor des Collegium Vocale 1704, der im Grunde aus Solisten besteht, zu einer Einheit findet und sich mit dem Orchester verbindet. Das fiel diesmal besonders auf, weil es viele Wechsel in den Rollen (Soli, Duette, Tuttipassagen) sowie den Affekten der Darstellung gab.

Schon der Beginn des Kyrie mit seinem durch die Stimmen aufsteigenden Fugato, erweckte einen fröhlichen, feierlichen Charakter – später am Abend sollte Händel mit den Stimmen in absteigender Folge ein passendes Schlußwort gehören. Dann übrigens ohne Blechbläser und Pauken, die jedoch bei Zelenka für ein wahres Feuerwerk sorgten.

Kein Zweifel – diese Missa war ein Fest des Lebens! Das machten nicht nur die festlichen Instrumentalklänge, sondern auch das Chortutti (oder Plenum, wenn man so will) deutlich. Hier wurde mit Dank gefeiert und gelobt, was jedoch durchaus kein Dauerfeuerwerk bedeutete, denn das Collegium differenzierte in den Hoch- und Jubelpassagen deutlich zwischen Freude allgemein und zum Beispiel Aussagen, die voller Zuversicht unterstrichen waren, wie im Qui tollis (Du nimmst hinweg die Sünde). Dasselbe wurde besonders innig von Tereza Zimková (Sopran) und Gabriel Díaz Cuesta (Altus) im Trio mit der Oboe (Katharina Andres) vorgetragen. Das folgende Qui sedes (du sitzest zur Rechten des Vaters) mündete in einen regelrechten Requiem-Gestus.

Diese affektiven Wechsel, kombiniert mit Fugen und dynamischen Steigerungen, führte schon vor dem Credo in ein kleines, wiewohl kraftvolles Finale auf dem Wort »Amen«, an das sich freilich ein beinahe feuriges Allegro des Credo anschloß, das wiederum von drei hellen Solisten (Tereza Zimková und Gabriel Díaz Cuesta um den Tenor Ondřej Holub ergänzt) beruhigt wurde. Ondřej Holub brillierte danach im eleganten Solo des Agnus dei (Lamm Gottes), das von gleich drei (!) Oboen begleitet wurde. Das Orchester ließ dazu die Blechbläser funkeln, aber auch die Orgel durfte sich bereits einmal mit kleinen Verzierungen à la Händel bemerkbarer machen.

Wer hätte gedacht, daß Zelenkas festlichem Dona nobis pacem noch etwas »aufzusetzen« wäre? Doch Georg Friedrich Händels Dixit Dominus (HWV 232) konnte dies, wiewohl Händel auf Pauken und Blech verzichtete, sehr wohl und löste schon im ersten Chorsatz eine mitreißende Woge aus.

Instrumental betonte Händel die wechselnden Themen auch in den gegenüberliegenden Streichern, wie sich überhaupt Fugen des Chores mit den Instrumentalgruppen verbanden. Die verblüffende Wirkung der Sänger als Solisten und Chor hielt nicht nur an, sie fand zu einer weiterhin intensiven und immer neuen Ausdruckskraft. So waren im Dixit Dominus die Worte der ersten Zeile in den Silben kraftvoll betont (»sprach der Herr«), während der anschließende Vers (»Setze dich zu meiner Rechten«) gebunden wurde. Gleich im Anschluß verblüffte Gabriel Díaz Cuesta, dessen zuvor milder Altus im Virgam virtutis (Das Zepter deiner Macht) eine erstaunliche Durchdringlichkeit erreichte.

Die Solisten waren teils in der Mitte aufgestellt, präsentierten sich aber ebenso wieder aus dem Chor heraus. Pavla Radostová war so noch in den Sopranduetten zu erleben, während unter den erneut starken Bässen Tomáš Šelc nicht unerwähnt bleiben darf.

9. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz

Nach dem Licht dieser Missa erwartet das Publikum im nächsten Konzert am 20. November in der Annenkirche mit »Jesu meine Freude« ein Programm mit Werken von erneut Zelenka, aber auch Bach und Schein.

CD-Tip: die neue Aufnahme des Collegium 1704 (Leitung: Václav Luks) mit der Missa Circumcisionis Domini Nostri (ZWV 11) und der Missa Corpis Domini (ZWV 3) von Jan Dismas Zelenka erscheint am 14. November bei Accent

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