Fast schon religiös

Kent Nagano bei der Dresdner Philharmonie

Die jährlichen Besuche von Dirigent Kent Nagano bei der Dresdner Philharmonie sind ebenso zuverlässig im Kalender, wie sie dann zu fast magischen Klangerlebnissen geraten. Am Sonntag war es wieder soweit. Im Dresdner Kulturpalast trafen Nagano und das Orchester auf den polnischen Pianisten Rafał Blechacz.

Leider nur zu diesem einen Termin – ein wenig schade schon deshalb, weil die Uraufführung, eine Auftragskomposition des Orchesters an Alex Nante, nur einmal erklang und auch nicht Teil des Mitschnitts der Deutschen Grammophon war. Doch die Neue Komposition über »Ein feste Burg ist unser Gott« hat auch so gute Aussichten, bald wieder oder an anderen Orten zu erklingen. Nicht zuletzt macht sich Kent Nagano für die Neue Musik stark und hat mit dem argentinischen Komponisten bereits mehrfach zusammengearbeitet.

Verdient hätten es beide Seiten – Komponist wie Publikum – denn Alex Nante gelingt es, spirituelle Momente in Musik zu fassen. Für sein neues Werk bestand die strenge Vorgabe (Nagano), Johann Sebastian Bachs Fassung des Chorals »Ein feste Burg ist unser Gott« (BWV 302) nicht nur vollständig einzubinden, sondern sich dabei an Leopold Stokowskis Orchesterbearbeitung anzulehnen – solcherlei »Unfreiheit« muß man erst einmal überwinden, um schöpferisch tätig zu werden.

Alex Nante, Photo: Agentur karsten witt musik management

Doch Alex Nante gelang genau dies. Er band sogar einen weiteren Choral (»So gehst du nun, mein Jesu, hin«, BWV 500) ein. Von weit her scheint der Klang zu kommen, von einzelnen Streicherstimmen, dann die Bläser zu erfassen, bis der Choral »Ein feste Burg« konkret wird, in Singstimmen der Solisten hervortritt. Allein – er schreitet nicht zum Gipfel, wandelt sich, klingt im zweiten Choral wie einem Trauermarsch aus – ist da noch etwas offen?

Die Frage zumindest bleibt bis nach der Pause, denn zunächst steht Ludwig van Beethovens drittes Klavierkonzert auf dem Programm. Rafał Blechacz – fast auf den Tag genau vor zwanzig Jahren gewann er den Chopin-Wettbewerb in Warschau – erwies sich darin ebenso als ein Klangmagier wie Kent Nagano. Leicht gedämpft scheinen Klavier und Orchester, aber nicht wie »verhindert« oder wie hinter einem Vorhang, sondern wie poliert, wie eine Perle, deren matter Glanz um so schöner, anziehender wirkt. Das geht beim Orchester mit kernigem Baß und Naturtrompeten los und gipfelt in Blechacz‘ feiner Anschlagskultur – der Pole artikuliert genau, aufgesetzte Brillanz ist ihm fremd! Das rückt das c-Moll-Konzert in die Nähe von Mozarts dramatischen Moll-Kompositionen, bei denen man noch in den Konzerten für Klavier manche Oper heraushört.

Es birgt aber auch eine symbiotische Dualität, die viel mehr bietet als einen simplen Dialog, etwa, wenn das Klavier in kurzen, zurückgenommenen Läufern zum Begleiter des Parlandos wird, das im Vordergrund Fagott und Flöte vollführen. Rafał Blechacz hebt den magisch dunklen Zauber der Kadenz ebenso unmerklich hervor, wie er mit Kent Nagano den Mittelsatz zwischen singendem Largo und der Anmut eines Andante balanciert. Im Orchesterbaß scheint eine Stimme mitzusummen, als spiele Glenn Gould Bach – magisch!

Nobel, nobel fügt Rafał Blechacz Beethovens Scherzo aus der Sonate Opus 2 Nr. 2 ein, als sei es eine Bagatelle.

Nach der Pause kehrten die normalen Trompeten zurück, nach Beethovens historisch informierter Spielweise durfte sich in Felix Mendelssohn »Reformations-Sinfonie« die ganze Romantik entfalten, die mit weichen Streichern trägt und die Bläser als Künder einsetzt. Und doch sind die Grade fein und der Ausdruck weit – spätestens mit dem con fuoco im ersten Satz, dessen Feuer Kent Nagano sich untergründig entfalten läßt, stellt sich wieder etwas Überirdisches ein. So wie jedes Wort im Luther-Text ein Gewicht hat, wiegt in Mendelssohns Sinfonie jede Note. Und nicht nur die – denn noch die Generalpause hat Bedeutung, ist ein Wende- und Ausgangspunkt. Das großartige ist, daß der Dresdner Philharmonie dabei nicht Überladenheit widerfährt, sondern ein zielgerichteter musikalischer Strom entsteht.

Vorübergehend atmen die Mittelsätze ein wenig »italienische« Luft, bevor – nun volltönend – Luthers Choral wiederkehrt. Womit Kent Nagano eine der stimmigsten dramaturgischen Brücken in Konzertprogrammen gelingt, denn er scheint zum guten Ende zu führen, was Alex Nante so einfühlsam, aber offen begann.

27. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz

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