Leipzig, Dresden, Kroatien und die ganze Welt

Augustin Hadelich im Großen Concert des Gewandhausorchesters

Seit 2018 ist Andris Nelsons Gewandhauskapellmeister und »nebenbei« auch noch Chef des Boston Symphony Orchestra. Kürzlich wurde sein Vertrag in Leipzig über 2027 hinaus verlängert – bis Juli 2032 läuft er nun. Die sieben Jahre scheinen bei Nelsons und seiner Beziehung zum Orchester keine Ermüdungserscheinungen mit sich zu bringen – im Gegenteil: derzeit wirkt er, wie am Donnerstag, regelrecht erfrischt, als habe er eine musikalische Kur durch das Orchester genossen.

Ob es daran liegt oder nicht – sein Einfühlungsvermögen ist enorm, wenn man so aus der Symbiose schließen mag, die sowohl innerhalb des Klangkörpers zwischen Solisten und Gruppen als auch im Austausch mit dem Gastsolisten erreicht wird.

Diesmal stand Augustin Hadelich links vom Dirigenten, der mit seinem ebenso raffinierten wie ausdrucksstarken Spiel schon oft das Publikum begeistert hat. Für Johannes Brahms‘ Konzert für Violine und Orchester D-Dur Opus 77 erwies sich die Kombination als glänzend, denn der eine (Nelsons) wußte das Orchester feinfühlig durch Brahms‘ Ströme und Schwünge zu führen, so daß ein stetiger farbiger Fluß entstand, der zweite (Hadelich) hob die Konturen nur dort hervor, wo das musikalische Bild diese klare Linie erforderte. Sonst spielte er einen geradezu sinfonischen Ton, der sich um so schöner mit dem Orchesterklang verband – das beide dennoch mühelos unterscheidbar blieben, lag wohl an einer inneren Übereinkunft oder einem deckungsgleich musikalischen Verständnis. So setzte Augustin Hadelich sein Vibrato nicht nur dosiert, sondern zielgerichtet ein, reicherte damit nicht beliebig eine Klangfülle an, sondern bekräftigte einen abwärts gerichteten Verlauf, so daß dieser nicht verlosch (Adagio). Dafür mied der Violinist sonst zu viel Einsatz, Geste oder Effekt – nur gut, denn sonst artet das gefühlvolle Stück im ersten Satz zum Beispiel leicht in ein gefühliges Jammern aus.

Auf Virtuosität oder technischen Anspruch hatte trotzdem niemand verzichten müssen, wie schon die erste Kadenz, im Stile einer kniffligen Partita eingeflochten, gezeigt hatte. In seiner Zugabe, Carlos Gardels »Por una cabeza« im eigenen Arrangement, verband Augustin Hadelich noch einmal Ausdruck und technisches Können.

Dora Pejačević (die Photographie entstand 1917), Bildquelle: Wikimedia commons

Hatten die Orchestersolisten schon bisher ihre Farbtupfer wohlgesetzt (Violine / Frank-Michael Erben, Violoncello, Oboe, Fagott), so bot ihre Palette nach der Pause noch einiges mehr. Dora Pejačević hatte in Dresden eine temporäre Heimat gefunden, wo sich ihre Werke einer größeren Beliebtheit erfreuten. In den letzten Jahren sind viele Stücke aus dem Œuvre der leider viel zu früh verstorbenen Komponistin wiederentdeckt worden, auch ihre fabelhafte Sinfonie gelangt langsam in den Kanon des klassischen Repertoires, was vor gut 100 Jahren vielleicht schon hätte passieren können – wäre der damalige Gewandhauskapellmeister Arthur Nikisch nicht gestorben, bevor es zu einer Aufführung kam. Die Uraufführung erfolgte schließlich 1920 bei der Dresdner Philharmonie.

Pejačevićs Solitär ist, wie er einen Klang immer wieder neu amalgamiert, geradezu phantastisch. Dabei assoziiert er leicht, wenn das Englischhorn im zweiten Satz singt und sich Gedanken an Tristan aufdrängen etwa, wobei sich die Komponistin keineswegs einfach verschiedener Motive oder Idiome bedient und diese neu mischt. Durchaus findet man vieles darin und mag vermuten, daß sie mit der Nähe zum Kaiserreich Österreich-Ungarn, den sie umgebenden Staaten und ihrer wachen Neugier viele Eindrücke gesammelt hat. Ob sie diese in einer zweiten Sinfonie fortgeführt oder einen dem Charakter nach entgegengesetzten Entwurf geschrieben hätte, werden wir leider nie erfahren.

Überraschend waren die symbiotischen Verläufe – einerseits stetige, oft rhythmisch getriebene Fortführungen, andererseits episodenhafte neue Entwicklungen und Umformungen. Trotz der immens großen Besetzung ließ Andris Nelsons sein Orchester jedoch nie wuchtig oder übermächtig tönen – die Piani der gesamten Streicher vermochten ebenso zu begeistern wie der riesige Blechbläserchor, der von hinten nicht alles »niederbrüllte«, sondern das Orchester quasi durchleuchtete. So blieb stetig ein sinfonischer Zusammenhalt gewahrt, aus dem sich leicht perlend die Harfe abhob (1. Satz) oder die Flöte in den Turbulenzen eines quicklebendigen Scherzos nie »unterzugehen« drohte. Ein im besten Sinne effektvolles Stück!

31. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz

Konzerttip: »Aus der neuen Welt« (28. Februar und 1. März), Dresdner Philharmonie, mit der Ouvertüre d-Moll von Dora Pejačević, Liedern von Alma Mahler und Antonín Dvořáks neunter Sinfonie, mit: Emmanuel Tjeknavorian (Dirigent) und Tara Erraught (Mezzosopran)

Hinterlasse einen Kommentar