Klavierabend Víkingur Ólafsson bannt sein Publikum, krankt aber an der Überbestimmung
Am Wochenende startete die neue Reihe »Stars am Klavier«, von der Dresdner Philharmonie in Kooperation mit DK Deutsche Klassik präsentiert, im Dresdner Kulturpalast. Im ersten der vier Konzerte stand gleich einer der gefragtesten Pianisten derzeit auf dem Programm – Víkingur Ólafsson. Daß er ein wenig ein gemachter Star ist, merkt man an seinen durchkomponierten Auftritten – rechtzeitig zum Konzert gab es die ersten (vorab signierten) Exemplare der neuen CD mit dem Programm des Abends zu kaufen, da hatte die Deutsche Grammophon vorgesorgt (offizieller Verkaufsstart ist erst das kommende Wochenende).
Glücklicherweise verfügt Ólafsson über eine pianistische Expertise, die seinen Anspruch oder Status auch rechtfertigt. Denn seine Musikauswahl ist sorgsam zusammengestellt und ihrerseits durchkomponiert, und wer eine Aufführung seines Zyklus mit Bachs Goldberg-Variationen besucht hat [NMB berichteten: https://neuemusikalischeblaetter.com/2024/06/25/goldbergs-freie-varationen/%5D, weiß, welch ungeheure Spannung der Isländer in einen Abend zu verlegen mag.

Die Voraussetzungen waren also gegeben, der große Saal fast bis auf den letzten Platz besetzt, grünes Licht (wenigstens blieb es während des Abends so und änderte sich nicht von Stück zu Stück) schimmert auf der Bühne, während der übrige Raum stark abgedunkelt blieb.
Leise, zärtlich streichelt Víkingur Ólafsson das Präludium E-Dur (BWV 854) von Johann Sebastian Bach herbei. Schon hier beginnt eine agogische und dynamische Gestaltung, die anfangs noch überraschend wirkt, aber bald einen aufgesetzten Charakter bekommt. Nach Bachs Zyklus im vergangenen Jahr hat der Pianist auch diesmal ein Programm so dicht geflochten, daß er keine Pausen zwischen den Stücken läßt, obwohl es eigenständige Werke sind. Er spielt mit dem Grundton e in Dur und Moll (obwohl er auch andere Tonarten beherrscht, wie Víkingur Ólafsson am Ende seines Programms noch erklären sollte).
Auch Ludwig van Beethovens siebenundzwanzigste Klaviersonate steht in e-Moll und es scheint tatsächlich, als liefe Bach weiter oder als stellte Beethoven einen Akkordspiegel für ihn auf. Sturm und Reflexion sind im ersten Satz eng verflochten, während der zweite kontrapunktische Anleihen nimmt, aber bereits Schuberts Melodiösität vorausgreift. Der Schlußton verhallt wie die Aria aus den Goldberg-Variationen.
Der Anschluß ist also hergestellt zu Johann Sebastian Bachs Partita e-Moll (BWV 830), die Fugen und choralartigen Passagen bietet. Immer wieder sind es gerade die Steigerungen, die Ólafsson verblüffend selbstverständlich gelingen, als Gestaltungsmerkmal aber dominieren – als das Thema der Allemande wiederkehrt, ist es auf einem höheren Niveau. Es liegt zuviel Gewicht auf diesen Steigerungen und den gestalteten Übergängen, daher fehlt den Stücken die Ruhe des Loslassens, des Absetzens, geht Eigenständigkeit verloren. Bachs Corrente plaudert belanglos – auch die später zugegebene Sarabande läuft mäßig, ohne Eigenspannung oder rhythmische Struktur.
Das bekommt vor allem Franz Schubert zu spüren, dessen selten gespielte Sonate e-Moll (D 566) Víkingur Ólafsson mitgebracht hat. Eingezwängt in die Übergänge nach Bach und vor Beethoven, aufgebaut auf die Steigerungen, fehlt die Freiheit, in der sich Schuberts Liedcharakter entfalten könnte. Zudem verhindern die willkürlichen Temporückungen den bezaubernden Fluß, der für Schubert so typisch ist. Der große Bogen, den der Isländer über den gesamten Abend spannt, wird für Schubert zur einzwängenden Klammer.
Das bekommt selbst Beethovens Klaviersonate Nr. 30 nicht gut, deren Beginn die Kontur fehlt, der Adagio-Teil verplätschert erneut – für sich genommen fehlt einzelnen Sätzen immer weder die Spannkraft, die sich nicht herbeizwingen läßt, nicht einmal mit gezielt gesetzten Pausen, die mit Fingerzeig zur erhobenen Hand betont werden.
Dabei wäre doch viel mehr möglich gewesen, wenn sich der sympathische Isländer (»Mein Deutsch klingt besser, als es ist« sagte er selbstironisch in seiner kurzen Ansprache) auf weniger Rahmengestaltung oder gar ein klassisches Konzertformat eingelassen hätte. Noch Jean-Philippe Rameaus »Le rappel des oiseaux« ist von einer Effektpause geteilt – so steht am Ende die Begeisterung vieler Besucher zwiespältig neben der Enttäuschung derer, die mehr erwartet hatten.
16. November 2025, Wolfram Quellmalz
Boris Giltburg, Artist in residence der Dresdner Philharmonie, setzt die Reihe im Februar fort.
