Zelenka und Bach mit dem Collegium 1704
Die November-Konzerte der Musikbrücke Prag – Dresden fallen im Monat des Besinnens und Gedenkens in der Regel etwas schlichter aus, zumindest was Attribute wie Freude oder Festlichkeit angeht. Musikalisch lassen Václav Luks und seine beiden Collegia um kein Jota nach, im Gegenteil. Am Donnerstag trat wieder einmal der Chor des Collegium Vocale 1704 in der Dresdner Annenkirche besonders hervor, denn auf dem Programm standen vor allem Trauermusiken und -motetten, die nur von einem Basso continuo begleitet werden. Das Orchester des Collegium 1704 war wieder einmal stark reduziert, diesmal aber nicht als Kammerformation, wie es sie schon gegeben hat, sondern mit Laute, Violoncello, Kontrabaß und Orgel als Continuogruppe. Jan Krejča, Libor Mašek, Tilman Schmidt, Pablo Kornfeld standen nicht nur für eine Kerngruppe des Ensembles, sondern bildeten ein wunderbares Rückgrat, das die Sänger ebenso unauffällig umschließen wie sie einen grundlegenden, pulsgebenden Rhythmus spenden konnte.
Mit Johann Michael Bachs »Halt, was du hast« stand eines der bekanntesten Werke des Onkels von Johann Sebastian auf dem Programm, zudem vielleicht die bei versierten Chören beliebteste Komposition (erst am Sonnabend hatte sie der motettenchor dresden in der Kreuzvesper gesungen). Es war gleichzeitig eines der raffiniertesten Werke des Abends, denn Chortext und Choral laufen parallel bzw. in wechselnden Versen. Den großen Chor für den Choral hatte Dirigent Václav Luks auf den vorderen Emporen links (Frauen) und rechts (Männer) verteilt, während die kleine Chorgruppe vor dem Altar blieb. Die Verschränkung der Stimmen mit dem bekannten Textzeilen (»Jesu, meine Freude«, »Halt, was du hast«) gelang ganz außerordentlich – nachvollziehbar in den Worten und berührend in der Stimmung. Das abschließende »Gute Nacht, oh Wesen«, in dem sich die Gruppen vereinigten, war nicht nur eine exzellente Darstellung des ganzen Chores, es hätte auch als Abschluß (und Abendgruß) am Ende stehen können.

Denn der einzige Nachteil dieses Programms lag in der Zusammenstellung und Reihenfolge: So folgten mit »Die mit Tränen säen« und »Da Jakob vollendet hatte« zwei Ausschnitte aus Johann Hermann Scheins »Israelis Brünnlein«, die ausgesprochen effektvoll vorgetragen wurden und thematisch passend gewählt waren. Indes blieb für jene, die das »Israelis Brünnlein« kennen, die Enttäuschung, daß die beiden Titel zu kleine Ausschnitte aus dem Gesamtwerk waren und als Lieder zwischen den sie flankierenden Kompositionen ein wenig verlorengingen. Was am fehlenden Raum (Zeit) zur Entfaltung lag, nicht an der Gestaltung, denn die war vom fugierten Chor bis zur stark affektiven Betonung großartig!
So verblaßte Scheins vielleicht wichtigstes Werk bald angesichts der frühesten erhaltenen Komposition von Jan Dismas Zelenka quasi »aus guten Gründen«: Die Statio quadruplex pro processione theophorica (ZWV 158) hatten eine fast schon überwältigende Wirkung, da sorgte bereits die erste der vier vertonten Stationen einer Prozession für Gänsehaut, weil sich doppelchöriger Gesang und eine geschmeidige Basso-continuo-Gruppe hervorragend verbanden!
Nach dem zunächst eher schwebenden Eindruck (»Von deiner Liebe, Herr«) wurden die weiteren Stationen (»Erhöre unser‘ Bitt!«, »Gib Frieden, Herr« am Ende) zunehmend lebendiger. Auch Zelenka hatte die Affekte beherrscht, die im dritten Teil (»Laß ab von deinem glühend Zorn«) lodernd durch den Chor fuhren, nachdem der Verlauf von Statio Nr. 2 durch die Ciaconna im Rhythmus angeregt wurde.
Da hatte es Johann Sebastian Bachs Motette »Jesu, meine Freude« (BWV 227) fast schon schwer. An sich nüchterner trotz ihrer Polyphonie war sie konzentrierter, selbst weniger raffiniert als jene von Johann Michael Bach. An sich (wohl) für ein Begräbnis oder Gedächtnis geschrieben, kehrte Václav Luks darin nicht die Trauer heraus, mit der man einem Verstorbenen nachruft, sondern das Lebenslicht, das den Hinterbliebenen zum Trost gespendet wird. Hier kam auch eine andere Eigenschaft des Collegiums wieder zum Tragen, denn fast jeder Chorsänger ist ein ausgezeichneter Solist, die Sopranistinnen Tereza Zimková und Pavla Radostová seien hier stellvertretend für alle erwähnt.
Der Text mit seinen vielen Choralzitaten soll Halt geben – das Collegium 1704 sorgte noch einmal für eine vitale, nahegehende Darstellung! Das war dennoch etwas kurz, um schon zu gehen – zwei Zugaben sorgten für noch mehr Halt und vervollkommneten den wunderbaren Eindruck: auf Jan Dismas Zelenkas Responsoria pro hebdomada sancta (ZWV 55) folgte eine Wiederholung der ersten, so beeindruckenden Statio.
21. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Konzert der Musikbrücke Prag – Dresden am 16. Dezember stehen Kompositionen von Johann Sebastian Bach, Georg Muffat sowie Carl Philipp Emanuel Bachs Magnificat auf dem Programm.
Übrigens: Wer die Statio quadruplex pro processione theophorica (ZWV 158) von Jan Dismas Zelenka verpaßt hat, kann sie im kommenden Jahr beim Musikfest Erzgebirge mit dem Collegium 1704 hören!
