Kreuzchorvesper zum 1. Advent
Am Sonnabend feierte der Dresdner Kreuzchor am Vorabend des 1. Advent den Beginn des neuen Kirchenjahres. Nach der Zurückgenommenheit und dem gedämpften Licht zum Ewigkeitssonntag vor einer Woche ging von der Kreuzvesper wieder ein helles Licht aus. Um so schöner, da die Tradition, daß der Kreuzchor die erste Adventsvesper gestaltet, trotz eines Auftritts beim ZDF-Adventskonzert wenige Meter entfernt in der Frauenkirche, beibehalten wurde. Die zeitliche Lücke zwischen den Einsätzen genügte nicht, und so teilte man sich in die Aufgaben: Peter Kopp, ehemaliger Chordirigent des Kreuzchores, übernahm die Leitung der Kreuzvesper und vervollständigte mit seinem Dresdner Vocal Concert die Besetzung, während Kreuzkantor Martin Lehmann in der Frauenkirche den Eingangschor aus Bachs Weihnachtsoratorium für ein noch größeres Publikum übernahm.
Klein war jenes in der Kreuzkirche aber bei weitem nicht – wie immer im Advent hieß es, sich rechtzeitig anstellen. Und was geboten wurde, war ebenso um kein Jota kleiner. Im Gegenteil erwies es sich als klug komponiert im doppelten Sinne, denn nicht nur die Stücke, auch die Reihenfolge gab dazu Anlaß. Der 1. Advent markiert nicht den Höhepunkt, sondern steht am Anfang.

Das galt schon beim Einzug der Kruzianer zu leicht hymnischen Orgelklängen (Kreuzorganist Holger Gehring) und Jan Arvid Prées Introitus für den Ersten Sonntag im Advent. Zwar sind darin die Texte »Du, Tochter Zion, freue dich sehr« und »Machet die Tore weit« eingebunden, aber sie stellen noch keinen freudigen Jubel dar, sondern, teils auf einem Ton »stehend«, den Aufbruch. Freilich schwangen sich die Sänger gegen Ende in eine tonale wie emotionale Höhe.
»Morgenstern der finstern Nacht« von Josef Gabriel Rheinberger folgte einem noch leicht zurückgenommenen Gestus, verfügte aber bereits über eine fast übermäßig romantische Harmonie, aus der manche Wortbetonung (wie auf den anbrechenden »Tag« oder »dein Glanz«) herausstach. Mit Heinrich von Herzogenbergs »Freue dich, du Tochter Zion« (aus »Zur Adventszeit« Opus 81) führten die Chöre, wie zuvor a cappella, mit rhythmischer Belebung und Wiederholung von Versen des kurzen Textes eine Steigerung der Freude herbei. »Immer höher« ging es (zunächst) aber nicht, denn mit dem Schwedischen Weihnachtslied »Gläns över sjö och strand« (»Glanz überm Heiligen Land«) von Alice Tegnér (Satz: Robert Sund) wurde noch einmal die Dunkelheit und Weite offenbar, in der sich allmählich ein Heiliges Licht ausbreitet. Kreuzchor und Vocal Concert, die nicht in getrennten Blöcken standen, waren im Klang nicht nur homogen gefügt, sondern fanden ebenso im Verlauf einen erstaunlich gemeinsamen, geschlossenen Ausdruck.
Mit dem Concerto d-Moll (BWV 596, nach Antonio Vivaldis Concerto RV 565) von Johann Sebastian Bach gab Holger Gehring einen kleinen, wiewohl festlichen Vorgeschmack auf das Hauptwerk des Abends. In Bachs Adaption konnte man noch zarte Streicherklänge erspüren, doch nicht allein diese Imitation erwies sich als Ohrenschmeichler, auch die Fuge war meisterlich aufgefächert, das Largo mit seinem Siciliano-Charakter ein »köstliches Orgelstück«.
Dies zu steigern bedurfte es eines originalen Vivaldi. Im Grunde ist ein Gloria ja nur ein Teil der Messe, doch Vivaldis Gloria D-Dur (RV 589) ließ keinen Mangel oder den Eindruck einer Unvollständigkeit aufkommen. Die nun echten Violinen, Bläser und Basso continuo spendierte das Dresdner Barockorchester. Jetzt durfte der Jubel von Beginn (»Gloria in excelsis Deo« / »Ehre sei Gott«) klingen, doch geschah dies nicht permanent, denn der Komponist hatte viele affektive Wechsel für den Chor eingearbeitet und auch die Solisten (Gretel Wittenburg / Sopran und Anna-Maria Tietze / Alt) miteinander und im Gegenüber des Chores wirkungsvoll eine himmlische Weite aufspannen lassen. Kaum zu sagen, was betörender, beschwingter war: Gretel Wittengurgs von der Oboe begleitetes Solo oder Anna-Maria Tietze »Domine Deus«? Oder doch das »Domine Fili« (Chor), dessen Wiegen an das Wasser in Vivaldis Heimatstadt denken ließ? Der Schlußchor wurde mit Trompeten festlich ausgestattet, bewahrte aber einen langsamen, feierlichen Fluß.
»Machet die Tore weit« blieb zentrales Thema, zunächst im Wort zum Sonntag von Superintendent Christian Behr, der sich darauf bezog, wie das Lob Gottes durch die Jahrhunderte klingt, selbst wenn uns das Jubeln manchmal schwerfällt, weil uns etwas beschäftigt oder niederdrückt.
Seit Schuljahresbeginn blüht die Pflege des Werkes von Andreas Hammerschmidt beim Dresdner Kreuzchor besonders reich. Nachdem bisher viele wenig bekannte Werke (wieder) zu hören waren, durfte nun eine der beliebtesten Kompositionen Hammerschmidts, »Machet die Tore weit« (aus Sechsstimmige Fest- und Zeit-Andachten, Dresden 1671) und a cappella vorgetragen, erklingen.
30. November 2025, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Freitag und Sonnabend gestaltet der Kreuzchor seinen Weihnachtsliederabend in der Kreuzkirche. Das Adventskonzert in der Frauenkirche mit dem Dresdner Kreuzchor kann in der Mediathek des ZDF aufgerufen werden.