Von der Geburt Jesu

Kantaten 1 bis 3 des Weihnachtsoratoriums mit dem Dresdner Kreuzchor

Zählte man die Tage (oder die »Erbsen«?), wäre es ein klarer Anachronismus, Bachs Weihnachtsoratorium bereits im Advent aufzuführen. Noch dazu, da nicht nur der Advent schon seine »Vorläufer« hat, die mit dem Verkauf von Weihnachtsartikeln im frühen Herbst beginnen. Auch die Bedeutung des Wortes Adventus ist immer weniger gewußt, immer weniger bewußt. Auf der anderen Seite hat gerade das gemeinsame Erlebnis von Familien oder Freunden seinen eigenen Wert und ist durch eine jahr(zehnt)elange Tradition legitimiert – längst gehören die Aufführungen der ersten drei Kantaten aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium im Advent für viele zu den »inneren Weihnachtsvorbereitungen«. So fühlt wohl kaum einer der Besucher in der Dresdner Kreuzkirche an diesem Wochenende, als sei bereits Weihnachten, aber ein Stück näher heran sind wir schon. Wesentlichen Anteil hatte wieder einmal der Kreuzchor, der in seinem Eindruck noch die Solisten übertraf.

Stimmungsvoller Auftakt: Weihnachtsoratorium mit dem Dresdner Kreuzchor »zu Hause« in der Dresdner Kreuzkirche, Photo: Dresdner Kreuzchor, © Oliver Killig

Unterstützt wurde der Chor wie immer von der Dresdner Philharmonie. Während beim Evangelisten und den übrigen Rollen jährliche Wechsel, stetige Wiederkehren eingeschlossen, üblich sind, gehören bestimmte Namen auf Seiten der konzertierenden oder im Basso continuo spielenden Orchestermitglieder immer dazu. Doch auch hier stellt sich über längere Zeit trotzdem ein Wandel ein – Konstanze Pietschmann (Violoncello) ist zum Beispiel seit kurzen erst dabei. Kreuzkantor Martin Lehmann verfügte damit nicht nur über ein veritables Begleitorchester, er gehört zu jenen Kantoren, die eine instrumentale Ausdruckskraft zu lenken und auszunutzen wissen. Die Voraussetzungen waren dafür wieder sehr gut, wie Cszaba Keleman an der Trompete bewies, der in der Baß-Arie »Starker Herr, oh großer König« zunächst die Klangpracht seines Instruments aufbot, um sich dann in der Begleitung an den Sänger anzupassen, so daß beide zu einer Einheit verschmolzen.

Sicherer Gestalter: Kreuzkantor Martin Lehmann, Photo: Dresdner Kreuzchor, © Oliver Killig

Dieser Solist war gestern ein anderer, denn Andreas Wolf mußte nach der ersten Aufführung am Freitag krankheitsbedingt leider absagen. Mit Henryk Böhm war zum Glück schnell ein Ersatz gefunden, der sowohl mit der Rolle als auch mit dem Ort und den Ausführenden vertraut ist. Seinen Blitzeinsatz meisterte er souverän. Tenor Patrick Grahl gehört mittlerweile zu den gefragtesten Evangelisten weltweit, der seine Stimme in Liederabenden, mit Kantaten und Passionen entwickelt und schult. Manchmal erinnert er in seiner Klangfarbe und Diktion ein wenig an Peter Schreier (was ihn als einzigen auszeichnet), andererseits strebt er diesem nicht nach, sondern hat sich eine individuelle Eigenständigkeit bewahrt. Das spürte man schon mit dem Einsetzen der Weihnachtserzählung am Beginn, erhielt aber auch den vorläufig letzten Erzählteil (»Und die Hirten kehrten wieder um«) frisch. Daß Patrick Grahl zwischendurch einmal unter dieser Höchstform blieb, als die Furch der Hirten (Beginn zweite Kantate) ein wenig harmlos schien, fiel kaum ins Gewicht bzw. nur deshalb auf, weil der Evangelist sonst so zuverlässig ausdrucksstark ist.

Begehrter Evangelist: Patrick Grahl, Photo: Dresdner Kreuzchor, © Oliver Killig

Griet de Geyter vervollständigte das Solistenquartett, ihr Sopran wirkte im Vergleich aber etwas kleiner (allerdings wartet das Weihnachtsoratorium erst in der vierten Kantate mit der Echo-Arie für den Sopran mit so einen Höhepunkt für die Stimme auf, wie er für Alt, Tenor und Baß schon in den ersten drei gegeben ist). Sophie Harmsen sorgte mit zwar schlanker Stimme, aber sehr einfühlsamer Gestaltung für ein paar der berührendsten Momente. Marias Wiegenlied (»Schlafe, mein Liebster«) gehörte ganz sicher dazu. Die Altistin wußte aber noch in den Rezitativen Akzente zu setzen, wie in »Ja, ja, mein Herz soll es bewahren« mit der darin eingeschlossenen, betonten »Seligkeit«.

Einfühlsame, schöne Altstimme: Sophie Harmsen, Photo: Dresdner Kreuzchor, © Oliver Killig

Die konnte nicht zuletzt derart wirken, weil Martin Lehmann die Tempi so wählte, daß nicht nur effektvolle Betonungen unterstrichen wurden, sondern sich eine Stimmung übertrug. Rhythmus gibt es eben nicht nur ein Maß vor, er sorgt oft für einen Puls. Der wurde meist von der Continuogruppe getragen, oft mit dem silbrigen Klang der Laute (Stefan Maass) mittendrin. Und so traten gerade die Choräle mit ihrer Botschaft immer wieder in den Vordergrund. »Schaut hin, dort liegt im finstern Stall«, lenkte mittendrin auf diese Weise die Aufmerksamkeit tatsächlich auf das neugeborene Christuskind und war einer der Höhepunkte des Kreuzchores. Mit »Dies hat er alles uns getan« gelang es etwas später ähnlich.

Fast schon weihnachtlicher Glanz, aber die Christbäume sind nur bereitgestellt und leuchten noch nicht, Photo: Dresdner Kreuzchor, © Oliver Killig

So konnten die prachtvollen Chöre zu Beginn und gerade in der dritten Kantate (»Herrscher des Himmels«) um so glänzender wirken. Außerdem gelangen jene Teile, die im Wechsel mit Solisten standen, besonders, als etwa der Evangelist »Und alsbald war da bei den Engeln« verkündete und der Chor (die Engel) mit vereinter Kraft jubelten »Ehre sei Gott in der Höhe«.

21. Dezember 2025, Wolfram Quellmalz

Die Kantaten des Weihnachtsoratoriums vier bis sechs mit dem Dresdner Kreuzchor gibt es am 10. Januar

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