Entflammte Kapelle

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Daniele Gatti und Sol Gabetta am Sonntag im Konzert mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Markenphotografie

Daniele Gatti und Sol Gabetta beim zweiten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Die Spannweite von Programmen kann auch dann enorm sein, wenn sich die Lebensdaten der Komponisten noch überschneiden oder »umfassen«: Camille Saint-Saëns war noch vor Gustav Mahler geboren, aber nach ihm gestorben. Sein erstes Cellokonzert war die Eröffnung für Sol Gabetta, die aktuelle Capell-Virtuosin der Spielzeit. »Virtuos« ist bekanntlich von »virtus« – Tugend – abgeleitet, woran man sich immer dann glücklich erinnert, wenn es nicht einfach mit sportiven (Selbst)darstellungen verbunden ist. Sol Gabetta verfügt über Virtuosität in jeder Hinsicht – die technische Beherrschung ihres Instrumentes ebenso wie im Verständnis der Stücke und einer eigenständigen Interpretation. Zu erleben war dies gestern: die Cellistin kann ihr Instrument singen lassen, vermeidet aber ein immerwährendes Betören. Dabei hatte Gabetta offensichtlich Freude am Spiel mit der Kapelle, die unter Daniele Gatti anfangs, wenn das Orchester das Thema aufnimmt und begleitet, wie ein musikalischer Seelenspiegel wirkte.

Zwar verfügt auch Saint-Saëns über jenes Kolorit, daß man gemeinhin als »typisch französisch« bezeichnen könnte, doch ist es divers und wurde hier immer neu belebt. Der Komponist hat nicht nur die drei Sätze des Konzertes ineinander übergehen lassen, sondern zudem eine formal gewohnte Folge schnell – langsam – schnell vermieden. Die Solistin war vielmehr Spielball und Agitatorin, denn die vielen Teile, die sich in den Sätzen ausmachen lassen, sind weniger episodenhaft aneinandergereiht, Saint-Saëns nimmt Themen immer wieder auf, schafft Bezüge und flicht gewohnte Formen ein, beispielsweise ein Trio. Aus solchen Bezügen zwischen Solistin und Orchester ließen Gabetta und Gatti die Ideen schießen, ohne dabei zu »verbrennen« – gerade die Leichtigkeit, welche die Cellistin behielt und die ihr Instrument dann eben doch so schön und vernehmlich singen ließ, war entzückend. Eine Verve, die sich im ständigen Austausch mit dem Orchester vollzog. Kein Wunder, wenn beide in der Zugabe (Gabriel Faurés »Elegie«) wieder zusammenfanden.

Im Vergleich dazu war das nach der Pause zu hörende fast schon monströs. Nicht nur in der Länge ließ Gustav Mahler seine fünfte Sinfonie wachsen, er türmte sie auch auf und ließ sie mehr als einmal in einer tumultuarischen Polyphonie gipfeln, die alles hinwegfegte (oder mitriss). Waren schon bei Saint-Saëns die eingefügten Soli von Klarinetten oder Hörnern aufgefallen, so vervielfachte sich diese Pracht nun um einiges.

Und auch hier gab es weniger Episoden – obwohl sie bei Mahler durchaus angelegt sind – denn Daniele Gatti gelang es, den Wandel zu betonen, das Wachsen und Werden. So folgte man mit Ohren und Augen durchs Orchester, zu den Violen, fand bei den Celli Ruhe …

Ein Zustand, den Mahler freilich immer wieder aufbricht – die Trompeten waren als anfeuernde Fanfaren vielfach im Einsatz. Der »Tumult« führte aber nicht ins Chaos, sondern blieb beabsichtigt und deckte jene Fragmente, wo Mahler zum Lied zurückzukehren scheint (Ecksätze), nicht zu. Verblüffend, wie das Adagio, das mehr die Schwere der Hingabe ausspricht, als leicht zu sein, plötzlich zu schweben schien, als das Thema zu den zweiten Violinen zurückkehrte. Was man so alles (er)hören kann …

16. September 2019, Wolfram Quellmalz

Nächstes Konzert mit Sol Gabetta: Duorezital mit Vertrand Chamayou (Klavier) am 29. März 2020 mit Werken von Schumann, Beethoven und Brahms

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