Dresdner Kammerchor beim Heinrich Schütz Musikfestival
Vor zwei Jahren hatte das Musikfest den Internationalen Heinrich-Schütz-Preis an den »kreativen Visionär und inspirierten Botschafter« (aus der Laudatio) Hans-Christoph Rademann vergeben. Heinrich Schütz ist seit langem ins Zentrum von Rademanns Wirken getreten und verdrängt dabei durchaus einmal Johann Sebastian Bach. Davon zeugt unter anderem die Gesamtaufnahme der Chorwerke Heinrich Schütz‘ mit dem Dresdner Kammerchor. Sie erfährt in der kommenden Woche (endlich!) auch die Anerkennung eines Opus Klassik für die CD »Psalmen & Friedensmusiken« als Editorische Leistung des Jahres.
Wenn solche Preisträger zum Heinrich Schütz Musikfest in die Dresdner Frauenkirche kommen, muß natürlich Schütz erklingen. Und er klang phantastisch – trotz Corona. Natürlich gab es nur ein begrenztes Platzangebot, aber die Frauenkirche hatte die oberen Emporen geöffnet, um dies auszugleichen. Der akustische Ausgleich fiel da sicher schwerer: auch der Chor stand nicht in Formation wie sonst, sondern weit verteilt im Zentrum des Kirchenschiffes (Frauen) bzw. vorn im Altarraum (Männer). Dazwischen hatte eine formidable Continuo-Gruppe platzgenommen, bestehend aus Johannes Fiedler (Orgel), Matthias Müller (Violone) und Stefan Maass (Laute). Wer den Dresdner Kammerchor kennt, merkte einen kleinen Unterschied in der Geschlossenheit, manchmal gab es, an prägnanten Stellen, einmal einen leicht grellen Sopran, ein Echo von hinten, doch waren solche Kleinigkeiten den erzwungenen Umständen geschuldet.
Was begeisterte, war die unverminderte Klangfülle, die Ausdeutungsintensität und die Balance, die Hans-Christoph Rademann selbst unter den erschwerten Umständen erreicht hatte: Text ausloten, dramaturgisch betonen, den Fluß aber nicht unterbrechen. Eine größtmögliche Farbigkeit bei ausgezeichneter Verständlichkeit gehört ebenso dazu. Dies ließ beides zu – die Augen schließen und der Musik, ihrem Text folgen, oder mit gespitzten Ohren verfolgen, wie sich ein Lied, eine Botschaft entwickelt, wie sie vom Tenor auf den Alt übergeht, wie Sopran und Baß ein »Echo über Kreuz« bilden( Johann Hermann Schein »Der Herr denkt an uns und segnet uns«).
Heinrich Schütz stand natürlich im Mittelpunkt, seine Geistlichen Chormusiken »Ich bin ein rechter Weinstock« (auch Programmtitel, SWV 389), »Unser Wandel ist im Himmel« (SWV 390) und »Oh lieber Herre Gott« (SWV 381) standen in der Mitte des Ablaufes und markierten einen Höhepunkt. Schütz‘ »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes« (SWV 386) bildete später den Abschluß.
Dazwischen Standen Werke anderer Meister, die es nicht nur zu beachten gilt, sondern die manchmal selbst Schütz erreichen oder gar übertreffen. Johann Hermann Schein, Andreas Hammerschmidt und Johann Kuhnau gehören dazu. Nicht nur bei dessen an einen Gemeindegesang erinnerndem schlichtem »Ach Gott, wie läßt du mich verstarren« strich der Dresdner Kammerchor mit der Schlichtheit der Mittel die Bedeutung heraus und lenkte so auf Werk und Inhalt. Johannes Fiedler leitete oft mit kleinen Orgelpräludien ein.
Immer wieder wußten die Meister aber die Schlichtheit aufzubrechen und mit Stimmhebung oder Betonung auf wesentliches hinzuweisen, wie den gottgemachten Himmel (Schein), in Schütz‘ »Weinberg« fielen die Terrassen des Aufbaus besonders auf, von den Tenören geradezu plastisch herausgearbeitet, sein »Oh lieber Gott, wecke uns auf« strebt nach oben, ins Licht, Kuhnaus getragenes »Tristis es anima mea« (Meine Seele ist betrübt) ging aber auch ohne besonderen Akzent mit dem Einsatz der Altstimmen zu Herzen! Nicht zu vergessen Andreas Hammerschmidts Kompositionen. »Oh, du mein bester Schatz, süßer Jesu«, war nicht nur eine innige Bitte, es glich einem süßen, hoffnungsfrohen Werben.
Orgel und vor allem Violone unterstrichen oft eine Aussage, ohne vordergründig brillant zu werden. Ob a cappella oder mit Begleitung – der Dresdner Kammerchor vermittelte den Eindruck, als habe ihn die Coronakrise kaum berührt. Der Aufwand, der zweifellos nötig war, die gewohnte Qualität nach monatelanger Pause wieder zu erreichen, war nicht spürbar, der Klangsog schien unvermindert, erst recht, wenn er wie nach dem »und ihre Werke folgen ihnen nach« (Schütz »Selig sind die Toten, SWV 391) zur Kuppel aufschweben durfte.
Ein Kollege schrieb noch spät nach dem Konzert, daß er – zum Nachklang – nun eine zwanzig Jahre alte (!) Aufnahme des Kammerchores mit Werken von Johann Hermann Schein höre, die klinge nach wie vor wunderbar. (Zweifellos war dieser Ausklang angemessener und erhebender als die vom Rezensenten getroffene Wahl, das Literarische Quartett mit begrenztem Vergnügen anzusehen.)
10. Oktober 2020, Wolfram Quellmalz
Und Sie können »SWALKEN«: Bereits jetzt können Sie an sieben Klangorten in Dresden einen Klangspaziergang erleben. Die SWALK-App auf Ihrem Mobiltelephon (über die Seite des HSMF oder an Orten wie der Frauenkirche finden Sie den QR-Code) erkennt Ihren Standort und spielt Ihnen, sobald Sie einen Schütz-Ort erreichen, dessen Musik vor (Einspielung des Dresdner Kammerchores). Außerdem erfahren Sie biographisches zu Heinrich Schütz und dem betreffenden Ort. Darüber hinaus schlägt das Projekt eine Brücke in die Gegenwart, denn zusätzlich enthält das Musikangebot Musik von Fabian Russ, der im vergangenen Jahr die Klanginstallation Orchestronik® in der Dresdner Frauenkirche realisiert hatte. Noch im November sind weitere Stationen in Bad Köstritz, Gera und Dresden verfügbar, bis zum Schütz-Jahr 2022 (350. Todestag) sollen weitere folgen. Geplant ist, das Projekt bis zu Schütz-Orten in Kopenhagen, Breslau und Venedig zu führen.
Das HSMF geht am Wochenende mit Konzerten in Dresden (17:00 Uhr, Kreuzvesper sowie 17:00 und 20:00 Uhr amarcordplus in der Dreikönigskirche) und Weißenfels zu Ende. Dabei dürfen sich die Zuhörer unter anderem auf eine Uraufführung (Dreikönigskirche) freuen. Eine Aufzeichnung des Abschlußkonzertes (17:00 Uhr, St. Marienkirche Weißenfels) wird am Sonntagabend 20:03 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt.