Konrad lebt mit seinen Eltern in Finsterbergen – eigentlich ist es wunderschön hier, wenn die Sonne scheint – wenn da nur nicht die drei miesen, fiesen Kerle wären, die tief im Wald hausen, spuken und Unheil anrichten. Obwohl man sich schon bald fragt, ob nicht auch der, der sich Unheil widerfahren läßt, eine Mitschuld trägt (frei nach Franz Werfel »Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig«). Zumindest nehmen die herbeigeeilten Sanitäter die um Hilfe rufende Wanderin nicht ernst und führen ihre Beschreibung eher auf Alkohol als auf reale Erlebnisse hin. Konrads Eltern scheinen ihrerseits weltfremd und nehmen den Gespensterlärm nur als Radau wahr. Es ist Konrad, der schließlich loszieht – die Eltern lassen ihn auf den langen Weg gehen, allein durch den Wald, geben ihm nur ein paar Antigespensterkugeln mit. Wie gut, daß der Junge unterwegs die karierte Katze trifft! Die ist nicht nur gewitzter und schlauer als die Eltern, sondern versteht es, Probleme strategisch anzupacken …

Die Semperoper hat Paul Maars 2008 erschienenes Kinderbuch auf die kleine Bühne gebracht, Freitag war Premiere auf Semper Zwei. Die Inszenierung in der Regie von Annika Nitsch (Dramaturgie: Bianca Heitzer) überzeugt vor allem mit ihrer märchenphantastischen Bilderwelt, die einem Gruselcomic entsprungen scheint. Ein Zauberwald, dessen Bäume lange Äste herabhängen lassen – oder sind es Spinnweben, Gespensterarme? Ein Eisentor, eine Fledermaus, ein wunderliches Schloß, alles düster und dunkel, dazu werden vorab vom Band wundersame Geräusche eingespielt – ein Nachtvogel ruft, und das Tor quietscht in den Angeln. Auch die Kostüme (wie das Bühnenbild von Linda Siegismund) sind herrlich, vor allem die drei miesen, fiesen Kerle – fast könnte man sie gern haben, so schön sind sie gestaltet!
Auf der Bühne wird es noch bunter: Einmal im spießig-wunderlichen Haus von Konrads Eltern, dann durch die Musik von Zad Moultaka. Er hat das Kammerstück mit sechs Instrumenten und fünf Stimmen ausgestattet, wobei die Sänger teils Mehrfachrollen übernehmen. Witzigerweise schlüpfen Vater (Doğukan Kuran) und Mutter (Sarah Alexandra Hudarew) gleichermaßen in die Hüllen von Gespenst und bleichem Nachtmahr, dazu gesellt sich Daniel Pastewski als dickes Ungeheuer – er ist noch der ausgeruhteste des wilden Triumvirats, doch es nützt ihm nichts. Konrad (Larissa Wäspy) und die karierte Katze (Christiane Hossfeld) besiegen letztlich – soviel sei vielleicht verraten – auch ihn.
Mit Fagott, Klarinette, Trompete, Kontrabaß, Tuba und allerhand Schlagzeug lassen sich nicht nur vielfältigste Geräusche fabrizieren, die Musik trägt, begleitet und wird mitunter illustrativ. Gesungen wird auf deutsch und gut verständlich, wobei die drei Fiesen ihre ersten Auftritte via Mikrophon aus dem Verborgenen vollziehen – im Märchenwald blinkern dazu unheimliche Augenpaare. Neben den Bildern nehmen die Sänger ihr Publikum am meisten gefangen. Daß Sanitäter, Nachtmahr und Vater dieselbe Person mimt, fällt nicht auf – die Frage stellt sich eigentlich gar nicht.
So schön und schaurig das ist, so dürftig ist doch der Text, der unter dem Niveau der Inszenierung bleibt – wie schade! Warum muß sich auch so vieles reimen? Konrad: »hier riecht’s nach Klopsen«, Eltern: »kannst dir schon einen mopsen« – ähnlich simpel geht es weiter. Überhaupt scheinen die Eltern und deren bildungsbürgerliches Abziehbild sehr fragwürdig. Eine pointierte Karikatur sieht anders aus! Die fragwürdigen Zitate des Vaters, der sich auf Goethe, Kant und Einstein beruft, dürfen ebenfalls in Zweifel gezogen werden. Und wenn Konrad nach (wie langer?) Zeit heimkehrt und der Vater seine Schilderung mit »mal sehen, ob man morgen etwas in der Zeitung liest« quittiert, reicht das kaum als Kritik oder Bewußtseinsaufforderung an die Eltern. Dabei sollte es das – bis hin zur verkündeten Moral »Wenn jemand fies ist, fies ihm das zurück«. Auge um Auge, Zahn um Zahn? Glücklicherweise nicht, denn Konrad bekommt für seinen Mut, dafür, daß er sich mit seinen Ängsten auseinandergesetzt hat, schließlich einen Orden.
Am Ende gibt es wieder Klopse – nicht die einzige Wiederholung im Stück. Leider läßt es auch Möglichkeiten zur Spannungserhaltung aus – Konrads erster Versuch, den letzten Geist zu »erledigen«, schlägt fehl, obwohl der Geist wenig später doch noch einen »Haken« schlägt.
Die Frage ist, wen das Stück ansprechen soll: Wegen des Gruselcharakters sind Kinder unter sechs Jahren wohl zu jung, aufgeweckte Zehn- und Elfjährige könnten die naive, geradlinige Erzählweise durchschauen und nicht mehr spannend finden.
16. Oktober 2021, Wolfram Quellmalz
Semperoper Dresden, Semper Zwei: »Drei miese, fiese Kerle«, ab 6 Jahren, wieder am 21., 23., 24. und 26. Oktober http://www.semperoper.de