Dresdner Philharmonie schließt mit Marek Janowski Wagners »Ring«
Ringe gibt es allenthalben, könnte man fast meinen, aber vielleicht scheint das nach der langen Pause auch nur so, oder weil sich gerade drei (ge)wichtige Ringe zeitlich und örtlich nah beieinander treffen – und wir haben gleich zwei in kurzer Folge in Dresden, wie schön! Am Sonnabend schloß sich mit der Aufführung der »Götterdämmerung« durch Marek Janowski und die Dresdner Philharmonie nicht nur ein Kreis, sondern Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen«, dem war eine Woche zuvor »Siegfried« vorausgegangen. Es war ein konzertanter Ring, was (zum Bedauern des Rezensenten) mittlerweile von einer wachsenden Zahl Besucher als Vorteil gesehen wird, kann man sich doch »ungestört« auf die Musik konzentrieren und muß sich nicht über Bühnenbilder und Inszenierung ärgern. Hat sich die Regie in den letzten Jahren also zu oft und zu billig in Effekten und abstruser Deutung verfangen?

Ganz ohne Schauspiel blieb Marek Janowskis »Ring« beileibe nicht. Die Akteure waren räumlich verteilt (Solisten teils auf dem Seitenrang), agierten aber auch – individuell verschieden – mimisch und gestisch. Nicht zuletzt war es zudem möglich, etwas zu verfolgen, was in der Opern sonst kaum und in Bayreuth gar nicht möglich ist: wie der Klang durchs Orchester wandert. In der ständigen Ausstellung Richard-Wagner-Stätten Graupa (Jagdschloß) kann man dies in einem Schaukasten schematisch nachvollziehen: zur Musik Wagners werden die Instrumentengruppen farbig beleuchtet, die gerade spielen – es sind nämlich nur selten alle gemeinsam im Einsatz, da war der Komponist schon differenziert. Jetzt gab es statt der Visualisierung einmal das echte Klang-Bild. Die Musik ist ja durchaus entdeckerfreundlich – Neulinge (so sie sich trauen) finden schnell die wiederkehrenden Hauptmotive (Schmiede, Siegfrieds Hornruf, Walkürenritt), Wagnerianer immer neue Verfeinerungen in den Vertiefungen und Verästelungen.
SIEGFRIED
Marek Janowski ist Dirigent und Alchemist. Er schmiedete keinen Ring aus Gold, sondern orchestrales Amalgam. Ein Streichertremolo vibrierte nicht allein Spannung hervor, es ließ den Puls kochen! »Siegfried«, von einem Trompeten-Impuls ausgelöst, wuchs über drei Aufzüge zu einer leidenschaftlichen – wie ungesunden – Liebe.

Das lag auch an einer Riege famoser Solisten, allerdings mit Einschränkungen in der Verständlichkeit. Vielleicht der einzige wirkliche Nachteil der Produktion war, auf Übertitel zu verzichten. Solche Orientierung wäre nicht nur für Neulinge hilfreich gewesen, denn durchaus nicht immer instrumentierte Wagner die Gesangspassagen zurückhaltend – Brünnhilde und Siegfried müssen sich durchaus mit Kraft durchsetzen. Manchmal saß man rechts einfach etwas ungünstiger, weil von dort einige der Solisten ins Zentrum des Saals sangen, teilweise eben zuungunsten der Verständlichkeit. Allerdings hatte die Philharmonie insofern vorgesorgt, daß in ihren frei angebotenen Tüten nicht nur Programmvorschauen, sondern eine beleuchtete Lupe mitgegeben wurde – von vielen Besuchern mit Textheften eifrig genutzt.

So also hieß es, sich auf Klang und Text zu konzentrieren, sich einzulassen. Letzteres war leicht, denn die Interpretation nahm gefangen, war oft atemberaubend. Selbst dann, wenn man etwas nachlesen (oder kennen) mußte. Jörg Schneider etwa machte jedes nicht verstandene Wort mit Ausdruck wett – sein Mime war ein giftiger Zwerg gewaltiger Größe, der boshaft und gehässig quietschen konnte – das war ohne Kostüm vielleicht sogar noch genialer, beeindruckender! Selbst Siegfried (Vincent Wolfsteiner) giftelt er, von den Celli begleitet, nach. Der läßt sich provozieren (»Bist du klug, so tu mir’s kund«), tritt aber auch sonst manchmal fehlt oder irrt – man lernt: Hände weg von Zaubertränken! Sie führen nur in die Irre oder zur falschen Person. (Wer das Herz der Liebsten erobern will, versuche es lieber wie Nemorino mit Bordeaux.) Ob von Worten oder Tränken angefeuert – Vincent Wolfsteiners Siegfried war ein kraftvoll, lebhafter, ja jungenhafter Held, das wurde am letzten Abend noch deutlicher. Rúni Brattaberg gestaltete seinen Fafner ohne Kostüm um so eindrucksvoller, ließ ihn von der Seitenempore toben und heulen.
Dabei war keiner der Sänger allein – Marek Janowski versteht es, sie zu tragen, den Figurencharakter zu unterstreichen oder den Auftritt hervorzuheben, wie jenen Wotans (Egils Silins), den ein Bläserchor ankündigt (solch herrliches Blech vergoldet jeden Wagner!). Egils Silins zeigte den Gott als Übervater, als Patriarchen und Herrscher, Pauken und Tuben »schärften« das Bild, während nicht nur ein Hornruf von Siegfrieds Nahen kündet – es gab auch Morgenstimmung mit Blechbläserpiano. Immer wieder standen Orchestersolisten im Rampenlicht, wie Sarah Ennouhi (Hornsolo). Das Auf und Ab der Gefühle fing Marek Janowski ein, sorgte für Entladungen, flexible Tempowechsel, Gegensätze. Verblüffend gelang die Szene Wotan / Erda. Wiebke Lehmkuhl trat mit Schleier (als schlafende Erda) auf, präsentiert feinsten Liedgesang, umfangen von einem gesanglich packenden Wotan.
GÖTTERDÄMMERUNG
Nach diesem großen Rausch begann die »Götterdämmerung« eine Woche später noch licht, voller Hoffnung. Die drei Nornen (Christa Mayer, Kristina Stanek, Miriam Clark), später die Rheintöchter (Christina Landshamer, Roxana Constantinescu, Christel Loetzsch) sorgen für edel besetzte Akzente. Langsam jedoch dreht und wendet sich alles – das konnte kein gutes Ende nehmen. Zwei überragten besonders: Vincent Wolfsteiner und Catherine Foster, deren Brünnhilde schon dem Siegfried-Finale die Krone aufgesetzt hatte. Unglaublich, woher sie diese Kraft nimmt, diesen Ausdrucksreichtum!!! Catherine Fosters Brünnhilde war eine Frau der Macht, doch verriet die Sopranistin im aufs Wort (»Echter als er schwur keiner Eide | treuer als er hielt keiner Verträge | lautrer als er liebte kein andrer: und doch, alle Eide, alle Verträge | die treueste Liebe trog keiner wie er!«) bedachten Schlußmonolog mit feinen Piani ihre Vielseitigkeit und Gewandtheit, bevor sie sich noch einmal – scheinbar mühelos – steigert.
Trotz der beiden überragenden Hauptdarsteller blieb Marek Janowskis »Ring« insofern geschlossen, daß er eine szenische Einheit war. Michael Kupfer-Radecky hatte extrem kurzfristig den erkrankten Markus Eiche (Gunther) ersetzt und überzeugte ebenso, wenn nicht noch mehr (wegen der Spontanität?) wie die dunkel-herbe Waltraude von Marina Prudenskaya. Regine Hangler profitierte als helle, klare Gutrune davon, daß Wagner hier besonders rücksichtsvoll und kammermusikalisch instrumentiert hatte. Dramaturgische Glücksmomente wuchsen in dieser konzertanten Aufführung aber gerade aus Szenen, in denen Alberich (Jochen Schmeckenbecher) und vor allem Hagen (Rúni Brattaberg) zusammen mit dem Chor für absolute Höhepunkte sorgten. Eberhard Friedrich, sonst unter anderem Chordirektor in Bayreuth hatte den MDR-Rundfunkchor und Mitglieder des Chores der Oper Leipzig zu einer Einheit geführt, die sagenhaft war – noch ein Gänsehautmoment. Kaum weniger in Erinnerung bleiben werden der höhnende Mörder Hagen, von drei Stierhörnern begleitet, oder der sagenhafte Marsch nach Siegfrieds Tod. Mittendrin in den präzis beißenden Blechbläsern und Pauken setzte Johannes Pfeiffers Oboe einen lyrischen Kontrapunkt. Es wäre schade, wenn solches ohne Nachhall bliebe!
16. Oktober 2022, Wolfram Quellmalz
Die vier Teile des »Rings« wurden von MDR Kultur und Deutschlandfunk Kultur mitgeschnitten. Die »Götterdämmerung« war auch als Streaming zu sehen und steht in der Mediathek von Takt1:https://www.takt1.de/orchester/dresdner-philharmonie